Er ließ mich allein am Altar stehen. Seine Ausrede? Helena, die andere Frau, lag angeblich mit einem Hirntumor im Sterben. Dann zwang er mich, mein seltenes Blut für sie zu spenden, um sie zu retten, ließ meine geliebte Katze einschläfern, um ihre grausamen Launen zu befriedigen, und überließ mich sogar dem Ertrinken, als er direkt an mir vorbeischwamm, um sie zuerst aus dem Wasser zu ziehen.
Das letzte Mal, als er mich dem Tod überließ, erstickte ich auf dem Küchenboden, im anaphylaktischen Schock wegen der Erdnüsse, die Helena absichtlich in mein Essen gemischt hatte. Er entschied sich, sie wegen eines vorgetäuschten Anfalls ins Krankenhaus zu bringen, anstatt mein Leben zu retten.
Endlich verstand ich. Er hatte mich nicht nur betrogen; er war bereit, mich für sie zu töten.
Als ich allein im Krankenhaus lag und mich erholte, rief mein Vater mit einem irrsinnigen Vorschlag an: eine Zweckehe mit Adrian Herzog, einem zurückgezogen lebenden und mächtigen Tech-CEO. Mein Herz war eine tote, hohle Hülle. Liebe war eine Lüge. Als er also fragte, ob ein Tausch des Bräutigams in Frage käme, hörte ich mich selbst sagen: „Ja. Ich heirate ihn.“
Kapitel 1
Charlotte Wagner und Florian Friedrichs sollten eigentlich eine Liebesgeschichte für die Ewigkeit sein. Zehn Jahre, ein Jahrzehnt gemeinsamer Erinnerungen, die von einem nervösen Date auf dem Abiball bis zu diesem Moment reichten, hier am Altar. Charlotte, eine talentierte Architektin, hatte die wunderschöne Kapelle sogar selbst entworfen, ein Denkmal für die Zukunft, von der sie glaubte, dass sie sie gemeinsam aufbauen würden. Florian, ein erfolgreicher Immobilienentwickler, war der Mann, der seit ihrer Jugend ihr Anker, ihre andere Hälfte gewesen war.
Ihre Verbindung war einst Stoff für Legenden in ihrer Heimatstadt Hamburg. Florian, der beliebte Fußballstar der HSV-Jugend, hatte nur Augen für die stille, brillante Charlotte. Er war ihr an dieselbe Universität gefolgt, hatte sie durch zermürbende Architekturprüfungen unterstützt und jeden ihrer Erfolge gefeiert, als wären es seine eigenen. Er war der Mann, der nach einem kleinen Streit im dritten Studienjahr drei Stunden durch einen Schneesturm gefahren war, nur um eine einzelne, perfekte Gardenie – ihre Lieblingsblume – mit einer Notiz auf ihrer Türschwelle zu hinterlassen, auf der stand: „Ohne dich ist meine Welt nur noch grau und kalt.“ Zehn Jahre lang war er ihre Welt gewesen.
Diese perfekte Welt begann vor sechs Monaten zu zerbrechen. Es fing schleichend an. Florian, der immer ein offenes Buch gewesen war, wurde mit seinem Handy immer geheimnistuerischer. Er begann, lange zu arbeiten, und schob es auf den Druck bei einem neuen Bauprojekt. Charlotte, vertrauensselig und mit den Hochzeitsplänen beschäftigt, tat es als Stress ab. Sie fühlte sogar einen Anflug von Schuld, weil sie ihn nicht mehr unterstützte.
Das erste wirkliche Beben kam an einem Dienstagabend. Florian war unter der Dusche, und sein Handy, das auf dem Nachttisch lag, summte unaufhörlich. Es war ein Reflex, kein Misstrauen, der sie auf den Bildschirm blicken ließ. Eine Reihe von Nachrichten von einer unbekannten Nummer. Ihr Magen zog sich zusammen. Sie redete sich ein, es sei nichts, nur eine Arbeitssache. Aber ein kaltes Gefühl schlich sich in ihr Herz.
Später in dieser Woche, als sie auf seinem Laptop nach einem Dokument suchte, sah sie einen ungesperrten Ordner auf seinem Desktop. Der Name war harmlos: „Projekt H.“ Neugier, ein nagendes, hässliches Gefühl, das sie seit einem Jahrzehnt nicht mehr gekannt hatte, ließ sie klicken.
Es waren keine Baupläne oder Finanzprognosen. Es war ein Fotoalbum. Hunderte von Bildern einer Frau, die Charlotte noch nie zuvor gesehen hatte. Eine Frau mit leuchtenden, lebhaften Augen und einem Lächeln, das jeden Rahmen zu erhellen schien. Sie lachte auf einem Boot, trank Kaffee in einem Café an der Alster, das Charlotte und Florian oft besuchten, und posierte sogar verspielt in dem, was eindeutig Florians Büro war. Die neuesten Fotos waren nur wenige Tage alt.
Eine separate Textdatei enthielt ihre Gespräche. Charlottes Hände zitterten, als sie las.
„Helena, du bist wie ein Lauffeuer. Ich kann nicht wegsehen.“
„Denke schon wieder an dich. Dein Lachen geht mir nicht mehr aus dem Kopf.“
„Sie ist … bequem. Verlässlich. Du bist … alles andere.“
Charlotte stockte der Atem. Helena. Der Name war ihr fremd, doch jetzt fühlte es sich an, als wäre er in ihr Gehirn eingebrannt. Sie scrollte durch Florians letzte E-Mails. Da war sie. Helena Herbst. Ihre Hochzeitsplanerin. Die Frau, die Charlotte selbst drei Monate zuvor engagiert hatte, bezaubert von ihrer Effizienz und ihrer quirligen Persönlichkeit. Die Frau, die Zugang zu jedem Detail ihres Lebens hatte.
Im Nachhinein waren alle Zeichen da gewesen und hatten sie angeschrien. Florians plötzliches Interesse an den Hochzeitsdetails, seine Teilnahme an Treffen, die er zuvor als „Zeitverschwendung“ bezeichnet hatte. Seine verweilenden Blicke auf Helena während ihrer Besprechungen, die Charlotte fälschlicherweise für einfache Anerkennung ihrer Arbeit gehalten hatte. Die Art und Weise, wie er angefangen hatte, Phrasen und Witze zu verwenden, die nicht seine waren, Phrasen, die sie jetzt in seinen Nachrichten an Helena getippt sah. Die Liebe, die er einst ausschließlich in Charlotte investiert hatte, wurde nun abgezweigt und auf jemand anderen umgeleitet.
In dieser Nacht konfrontierte sie ihn. Die Fotos waren auf dem Laptop-Bildschirm geöffnet, als er in ihr Schlafzimmer kam. Er sah sie, und die Farbe wich aus seinem Gesicht.
„Wer ist sie, Florian?“, Charlottes Stimme war kaum ein Flüstern.
Er schwieg eine lange, quälende Minute. Eine Minute, in der zehn Jahre Vertrauen zu Staub zerfielen.
„Ich … ich habe mich hinreißen lassen, Lotte“, sagte er schließlich mit angespannter Stimme. „Es war nur eine Dummheit.“
„Eine Dummheit? Es gibt Hunderte von Fotos. Du hast ihr gesagt, ich sei ‚verlässlich‘, während sie ‚alles andere‘ ist!“ Die Worte fühlten sich wie Säure in ihrem Mund an.
„Sie ist einfach so … lebendig“, stammelte er und schaute weg, unfähig, ihr in die Augen zu sehen. „Anders. Es war ein Fehler. Eine dumme, bedeutungslose Schwärmerei. Es hat nichts bedeutet.“
Charlotte wurde speiübel. Ihr ganzer Körper wurde eiskalt. „Also, wen wählst du?“, fragte sie, das Ultimatum hing schwer und endgültig in der Luft.
Da sah er sie an, sein Gesicht eine Maske der Schuld. „Dich, Lotte. Natürlich dich. Es war immer nur dich.“
Er schwor, es sei vorbei. Er schwor, es sei nur eine dumme Verliebtheit gewesen, die außer Kontrolle geraten war, dass er sie nie körperlich betrogen hatte, dass er von der Neuheit geblendet war. Um es zu beweisen, nahm er sein Handy und löschte direkt vor ihren Augen die Nummer von Helena Herbst und alle Fotos. Er hielt Charlotte fest, flehte um Vergebung und versprach, seine gesamte Zukunft sei mit ihr und nur mit ihr.
Ein Teil von ihr, der logische, selbstrespektierende Teil, schrie sie an, ihn zu verlassen. Aber der andere Teil, der Teil, der diesen Mann ein Drittel ihres Lebens geliebt hatte, wollte ihm verzweifelt glauben. Sie entschied sich, ihm zu glauben. Sie vergrub den Schmerz und den Verrat und redete sich ein, dass jede langfristige Beziehung ihre Prüfungen hat. Das war ihre. Sie würden es schaffen. Sie würden trotzdem heiraten.
Eine Woche später kam Florian mit einem seltsamen Vorschlag zu ihr.
„Helena hat mich angerufen“, sagte er in einem betont beiläufigen Ton. „Sie hat sich für alles entschuldigt. Sie fühlt sich schrecklich. Sie ist ein guter Mensch, Lotte, sie hat nur … einen Fehler gemacht.“
Charlotte sagte nichts, ihr Herz verhärtete sich.
„Unser Trauredner musste wegen eines familiären Notfalls absagen“, fuhr er fort. „Ich dachte mir … was, wenn wir Helena das machen lassen? Es wäre eine Möglichkeit zu zeigen, dass es keine bösen Gefühle gibt. Eine Möglichkeit für uns alle, offiziell damit abzuschließen, dieses Kapitel zu beenden, kurz bevor wir unser neues beginnen.“
Der Vorschlag war so bizarr, so absolut taktlos, dass Charlotte sprachlos war. Eine kalte Furcht erfüllte sie. Sie wollte schreien, ihn fragen, ob er verrückt geworden war. Aber als sie sein ernstes Gesicht sah, seine Bitte um einen „reinen Tisch“, spürte sie eine erdrückende Müdigkeit. Sie war es so leid zu kämpfen, so leid, misstrauisch zu sein. Vielleicht hatte er recht. Vielleicht war dies der einzige Weg, es wirklich hinter sich zu lassen. Die Frau, die sie fast zerstört hätte, sollte diejenige sein, die sie offiziell verband. Ein letzter, symbolischer Sieg.
Gegen jeden Instinkt stimmte sie zu. „Gut“, sagte sie mit flacher Stimme. „Lass sie es machen.“
Wie konnte sie nur so dumm gewesen sein? Die Frage hallte jetzt in ihrem Kopf wider, ein spöttischer, unerbittlicher Trommelschlag.
Hier, am Altar, in der von ihr entworfenen Kapelle, vor allen, die sie kannten, wurde die volle, schreckliche Wahrheit ihrer Dummheit enthüllt.
Helena Herbst, gekleidet in einem geschmackvollen cremefarbenen Hosenanzug, lächelte strahlend in die Menge, dann zu Florian. Die Musik war angeschwollen und verklungen. Die Luft war dick vor Erwartung.
„Nimmst du, Florian Friedrichs“, begann Helena, ihre Stimme klar und deutlich durch die stille Kapelle hallend, „… Willst du mich heiraten?“
Ein paar verwirrte Kicherer gingen durch die Reihen der Gäste. Ein einfacher Versprecher. Der nervöse Fehler einer Traurednerin. Charlotte zwang sich zu einem angespannten Lächeln und wartete darauf, dass Florian es weglachte, sie korrigierte, sich zu Charlotte umdrehte und sein Gelübde ablegte.
Aber Florian lachte nicht.
Er sah nicht einmal zu Charlotte.
Sein Blick war einzig und allein auf Helena gerichtet. Und in seinen Augen sah Charlotte keine Verwirrung, keine Belustigung, sondern einen Ozean roher, ungeschützter Emotionen. Ein Blick von so tiefer Sehnsucht und Anbetung, dass es ihr den Atem raubte. Es war der Blick, den er ihr früher geschenkt hatte, aber tausendmal intensiver.
Die Welt schien sich zu verlangsamen. Das verwirrte Murmeln der Gäste wurde zu einem dumpfen Rauschen. Alles, was Charlotte sehen konnte, war ihr Verlobter, der Mann, den sie ein Jahrzehnt lang geliebt hatte, der eine andere Frau ansah, als wäre sie die einzige Person auf der Welt.
Dann sprach er. Seine Stimme war fest, klar und absolut niederschmetternd.
„Ja, ich will.“
Ein kollektives Keuchen ging durch die Kapelle. Helenas Augen füllten sich mit Tränen, ein triumphierendes, strahlendes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Sie streckte zitternd ihre Hand aus.
„Florian“, hauchte sie. „Bring mich hier weg. Bitte, bring mich einfach weg.“
Florians Blick huschte für eine einzige, flüchtige Sekunde zu Charlotte. Da war ein Anflug von etwas – Schuld, vielleicht Mitleid –, aber es war so schnell verschwunden, wie es gekommen war, ersetzt durch einen Ausdruck grimmiger Entschlossenheit. Er nahm Helenas ausgestreckte Hand, ihre Finger verschränkten sich, als wären sie diejenigen, die zusammengehörten.
Er kehrte Charlotte den Rücken zu. Ihren zehn Jahren. Ihrer Zukunft.
„Florian, nein“, flüsterte Charlotte, die Worte blieben ihr im Hals stecken. Sie griff nach ihm, ihre Finger streiften den Ärmel seines Smokings. „Florian, wag es nicht, das zu tun. Wag es nicht, wegzugehen.“
Ihre Berührung ließ ihn für den Bruchteil einer Sekunde innehalten. Aber dann zog er seinen Arm weg, als ob ihre Berührung ihn verbrannte. Ohne einen weiteren Blick führte er Helena Herbst den Gang entlang, vorbei an ihren fassungslosen Freunden und ihrer Familie, und aus den schweren Eichentüren der Kapelle hinaus, und ließ Charlotte allein am Altar zurück.
Die Stille, die folgte, war absolut, ein erdrückendes Gewicht. Der Duft der Gardenien aus ihrem Brautstrauß war plötzlich widerlich. Die wunderschönen Gewölbedecken, die sie entworfen hatte, fühlten sich jetzt an, als würden sie sich über ihr schließen und sie ersticken.
Dann durchbrach ein Geräusch die Stille. Es war ein Lachen. Ein gebrochenes, hysterisches Geräusch, das sie vage als ihr eigenes erkannte. Tränen strömten über ihr Gesicht und vermischten sich mit dem abscheulichen, schmerzhaften Lachen. Es war alles ein Witz. Ihr Leben, ihre Liebe, ihr Vertrauen – es war alles ein spektakulärer, demütigender Witz.
Ihre Mutter, ihr Gesicht ein Sturm aus Wut und Entsetzen, stürzte auf den Altar. „Dieser Bastard! Dieser absolute Bastard!“, zischte sie und schlang ihre Arme um Charlottes zitternden Körper.
Ihr Vater war direkt hinter ihr, sein Gesichtsausdruck grimmig. Er blickte an Charlotte vorbei, seine Augen musterten die Menge, bis sie auf einem Mann landeten, der leise in der hintersten Reihe saß – Adrian Herzog, ein zurückgezogen lebender und immens mächtiger Tech-CEO, ein Familienbekannter, dessen Geschäft und das von Charlottes Vater einige Verbindungen hatten. Er war ein Mann weniger Worte, aber von immensem Einfluss.
„Adrian“, rief Charlottes Vater, seine Stimme schnitt durch das Chaos. „Die Familie Wagner schuldet Ihnen einen Gefallen. Und wir haben eine Braut. Vielleicht wäre ein Tausch des Bräutigams angebracht.“
Der Vorschlag war irrsinnig, eine verzweifelte, gesichtswahrende Maßnahme, geboren aus purem Schock und Wut. Aber für Charlotte, die in den Ruinen ihres Lebens stand, klang es wie der einzige Rettungsanker in einem ertrinkenden Meer. Ihr Herz war eine tote, hohle Sache in ihrer Brust. Liebe war eine Lüge. Gelübde waren ein Witz. Nichts zählte mehr.
„Ja“, hörte sie sich selbst sagen, ihre Stimme bar jeder Emotion. „Ich heirate ihn.“
Ihre Eltern atmeten erleichtert auf. Ihr Vater begann sofort, Vorkehrungen zu treffen, seine Stimme leise und eindringlich, als er mit Adrian Herzogs Assistenten sprach.
Charlotte war wie betäubt, als ihre Mutter sie wegführte, zurück in die Brautsuite. Zurück in das Haus, das sie mit Florian geteilt hatte, ein Haus, das sich jetzt wie ein Mausoleum anfühlte. Sie riss das wunderschöne Spitzenkleid herunter, das Symbol ihrer zerbrochenen Träume, und ließ es in einem Haufen aus weißer Seide und Demütigung auf den Boden fallen. Sie begann roboterhaft, eine Tasche zu packen, warf Kleidung, ihren Laptop, alles, was nur ihr gehörte, hinein. Sie musste hier raus. Sie musste jede Spur von sich an diesem Ort auslöschen.
Gerade als sie den Koffer schloss, flog die Haustür auf.
Es war Florian.
Er sah erschöpft aus, sein Gesicht blass und angespannt, aber die hektische Verzweiflung war einer schweren, düsteren Trauer gewichen. Er eilte auf sie zu, die Arme ausgestreckt.
„Lotte, es tut mir so, so leid“, sagte er, seine Stimme dick von einem Schmerz, den sie für eine schreckliche Sekunde fast glaubte. „Lass es mich erklären.“
Sie zuckte vor seiner Berührung zurück, ihr ganzer Körper wich aus. „Erklären?“, wiederholte sie, ihre Stimme troff vor Eis. „Was gibt es da zu erklären, Florian? Du hast mich für unsere Hochzeitsplanerin am Altar stehen lassen. Ich denke, das ist ziemlich selbsterklärend.“
„Nein, du verstehst das nicht“, flehte er, seine Augen füllten sich mit Tränen. „Helena … sie ist krank, Lotte. Sie stirbt.“
Charlotte starrte ihn fassungslos an.
„Sie hat einen Hirntumor“, würgte er hervor, die Worte überschlugen sich. „Glioblastom. Die Ärzte … sie haben ihr drei Monate gegeben, vielleicht weniger. Sie hat heute Morgen die endgültige Diagnose bekommen. Sie ist in Panik geraten. Bei der Hochzeit, als sie das sagte … es war ein Hilferuf. Sie sagte mir, es sei ihr letzter Wunsch, nur einmal zu hören, wie ich ‚Ja, ich will‘ zu ihr sage. Nur einmal. Wie hätte ich nein sagen können, Lotte? Wie hätte ich einer sterbenden Frau ihren letzten Wunsch verwehren können?“
Er sah sie an, sein Gesicht ein Porträt aufrichtiger, herzzerreißender Qual. Er flehte sie an, zu verstehen, die Noblesse in seinem grausamen Verrat zu sehen. Er bat sie, ihre Hochzeit zu verschieben, ihn die letzten Monate von Helenas Leben an ihrer Seite verbringen zu lassen, ihm diesen Akt der „Barmherzigkeit“ zu gewähren.
Charlotte blickte in die Augen des Mannes, den sie zehn Jahre lang geliebt hatte, und zum ersten Mal sah sie die Tiefen seiner Schwäche. Er hatte Helena geliebt. Sie hatte es in seinen Augen am Altar gesehen. Diese Geschichte, diese perfekt tragische, filmreife Erzählung eines letzten Wunsches, war nichts als eine bequeme Ausrede. Es war eine Möglichkeit für ihn, beides zu haben – den Helden für seine neue Liebe zu spielen und seine treue Verlobte in der Warteschleife zu halten. Er spann ein Netz aus Lügen, nicht nur, um sie zu fangen, sondern auch, um sich von seiner eigenen Rechtschaffenheit zu überzeugen.
Hätte sie damals, in diesem Moment, das wahre Ausmaß von Helenas Täuschung und Florians Fähigkeit zur Grausamkeit gekannt, hätte sie ihm ins Gesicht gelacht und wäre für immer gegangen. Sie hätte gesehen, dass seine Liebe zu Helena ein bodenloser Abgrund war, in den er bereit war, Charlotte immer und immer wieder zu werfen.
Aber sie wusste es nicht. Sie sah nur den Mann, den sie liebte, weinend, zerrissen zwischen seiner Vergangenheit und einer tragischen, erfundenen Zukunft. Und in diesem Moment der Schwäche zögerte sie.
Dieses Zögern war der Beginn ihres Abstiegs in die Hölle.
Genau in diesem Moment klingelte sein Telefon, schrill und fordernd. Florians Kopf schnellte hoch, sein Gesichtsausdruck änderte sich sofort in einen von purer Panik.
„Ja? Was ist los?“, bellte er ins Telefon. „Was meinst du damit, sie verblutet? Ich bin auf dem Weg!“