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Sturmzeichen

Sturmzeichen

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Dieses eBook: "Sturmzeichen (Historischer Roman)" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Richard Skowronnek (1862-1932) war ein deutscher Journalist, Dramaturg und Schriftsteller. Seine Romane Sturmzeichen und Das grosse Feuer waren überaus erfolgreich. Aus dem Buch: "Neuer Sieg der Bulgaren ... die Türken in vollem Rückzuge ... zweitausend Tote, fünftausend Verwundete ... Das neueste, das neueste, das allerneueste Extrablatt ..." Gellend schrillte die laute Knabenstimme über den in vornehmer Ruhe liegenden Königsplatz, der Portier des Großen Generalstabes verließ seine Loge und trat durch die schwere Flügeltür auf die schon in abendlichen Dämmer getauchte Straße hinaus. "Kostenpunkt, Kleener?" und er griff in die Tasche. "For Sie, Herr Jeneral, jratis! Kinder unter zehn Jahren und Militär von' Feldwebel abwärts man bloß de Hälfte ..." Der kecke Junge in der Uniform einer großen Berliner Zeitung zog das oberste Blatt von dem hohen Stapel, den er im linken Arme trug, und rannte weiter: "Neuer Sieg der Bulgaren ... die Türken in vollem Rückzuge ... zweitausend Tote ... fünftausend Verwundete ..." Der Alte in dem würdigen dunkelblauen Uniformrocke befestigte umständlich einen schwarzen Hornkneifer vor den weitsichtigen Augen und entfaltete das noch feuchte Zeitungsblatt..."

Contents

Chapter 1 No.1

?Neuer Sieg der Bulgaren ... die Türken in vollem Rückzuge ... zweitausend Tote, fünftausend Verwundete ... Das neueste, das neueste, das allerneueste Extrablatt ...?

Gellend schrillte die laute Knabenstimme über den in vornehmer Ruhe liegenden K?nigsplatz, der Portier des Gro?en Generalstabes verlie? seine Loge und trat durch die schwere Flügeltür auf die schon in abendlichen D?mmer getauchte Stra?e hinaus.

?Kostenpunkt, Kleener?? und er griff in die Tasche.

?For Sie, Herr Jeneral, jratis! Kinder unter zehn Jahren und Milit?r von' Feldwebel abw?rts man blo? de H?lfte ...?

Der kecke Junge in der Uniform einer gro?en Berliner Zeitung zog das oberste Blatt von dem hohen Stapel, den er im linken Arme trug, und rannte weiter: ?Neuer Sieg der Bulgaren ... die Türken in vollem Rückzuge ... zweitausend Tote ... fünftausend Verwundete ...?

Der Alte in dem würdigen dunkelblauen Uniformrocke befestigte umst?ndlich einen schwarzen Hornkneifer vor den weitsichtigen Augen und entfaltete das noch feuchte Zeitungsblatt.

?Sofia, 19. Juni. (Telegramm unseres nach dem Kriegsschauplatze entsandten Spezialkorrespondenten.) Sicheren Berichten zufolge, die aus dem Hauptquartier hierher gelangt sind, ist gestern den siegreichen bulgarischen Waffen ein neuer Erfolg beschieden gewesen. Der Division Radulowitsch ist es gelungen, den Feind aus seiner stark befestigten Stellung auf den H?hen von Koprülü-Burgas zu vertreiben. Die Türken verloren zweitausend Tote und fünftausend Verwundete, die Verluste auf bulgarischer Seite werden als gering bezeichnet. Die geschlagene türkische Armee befindet sich in vollem Rückzuge auf ...? Der alte Herr unterbrach sich, rückte das Blatt ein wenig n?her an die Augen ... ?Wie hei?t das? I der Deuwel soll diese pollakschen Namen aussprechen!?

Eine Sprengmaschine kam die Stra?e entlang, drei Jungen hinterher in hohen Stiefeln und grauen Leinenr?cken führten mit eingestemmten Schiebern das rieselnde Wasser über den feuchtgl?nzenden Asphalt, bis es leise gurgelnd in den neben dem Trottoir liegenden Eisengittern verschwand. Der Führer der Kolonne, der mit einem langgestielten Besen der ausgiebigen Reinigung den letzten Schliff verlieh, fa?te milit?risch salutierend an die Schirmmütze und trat n?her.

?Jehorsamst juten Abend, Herr Feldwebel! Wat Neues??

?I wo doch! Ejalwech dieselbe Jeschichte. Heut' haben zur Abwechslung mal wieder de Bulgaren jesiegt. Morjen kommen de Türken und demangtieren die Meldung. Die Blase da unten lügt doller wie die Franzosen Anno 70!?

?Sie meinen also, det alles, was in die Zeitungen geschrieben wird, is nich wahr??

?Na det jerade nich, 'n bi?ken wat wird schon dran sind. Nur sie iebertreiben ... m?chtig! Aus jeder kleenen Priegelei machen se gleich 'ne Schlacht. Jeradeso wie mein Kollege Fielitz aus 'n Kriegsministerium. Der is Angler. Und jeder fingerlange Pl?tz, den er in' Liepnitzsee f?ngt an' Sonntag, is hinterher 'n Hecht. Auf 'n linken Oberarm hat er schon 'ne dicke Hornhaut, weil er jedesmal mit de rechte Hand hinschl?gt, wie lang det der Hecht gewesen is.?

?Und meinen Se nu, Herr Feldwebel, det wir in diese balkanischen Wirren ooch reinverwickelt werden k?nnten??

Der alte Herr strich den schneewei?en Kaiser-Wilhelm-Bart auseinander und versetzte streng: ?Det is Amtsgeheimnis, mein Lieber! Darieber mu? man den Mund halten k?nnen, vastehn Se??

Der Beamte der Stra?enreinigung nahm unwillkürlich die Hacken zusammen.

?Entschuld'gen Se jietigst, Herr Feldwebel! Nur jedetmal, wenn ick hier an't Jeneralstabsjeb?ude vorbeikomm' – ick hab' n?mlich hier den Rejong um 'n K?nigsplatz – ja also, da mu? ick immer denken, die da drin, die wissen't. Und wenn man vier kleene J?ren zu Haus hat und 'ne kranke Frau, da macht man sich doch Jedanken. Wer ern?hrt denn nu det kleene Jewürm, wenn ick einrücken mu???

?Na, da wird doch for jesorgt werden!?

?Kann sein, kann aber ooch nich sein! Und diese Unjewi?heit is beinah' so schlimm, wie wenn's schon wirklich Krieg w?r. Sie, Herr Feldwebel, merken das nich so, weil Se immer pünktlich Ihr Jehalt kriegen, aber ich! Ich bin n?mlich abends Logenschlie?er ins Joethetheater. In zweiten Rang. Hundeleer, sag ick Ihnen! Keen Mensch hat Jeld! Wenn se sich amüsieren wollen – for zehn Fennje in Kientopp. Vor zwee Jahren ha'ck noch mindestens 'n Taler einjenommen an Trinkjeld. Heute nich fufzig Fennje! ... Und det stand neulich sehr richtig in de Zeitung: Wenn de drückende Furcht vor'n Krieje nich von den Schultern des Volkes jenommen wird, steuern wir rettungslos den wirtschaftlichen Unterjang entjejen!?

Der alte Herr schob zwei Finger der Rechten zwischen die Kn?pfe seiner Uniform und reckte sich.

?Janz sch?n, aber wie denken sich das nu die Herrschaften in der Zeitung? Soll vielleicht Seine Majest?t an de Litfa?s?ulen kleben lassen: 'V?lker Europas, beruhigt Euch! Unsere heilijsten Jüter sind nich in Jefahr, wenn diese Mauseratzenfaller da unten sich mit de Türken 'rumprügeln!'??

Der st?dtische Reinigungsbeamte schüttelte den Kopf.

?Nee, Litfa?s?ule w?r' ja nich jerade n?tig. Nur, wenn er mal wieder 'ne Ansprache h?lt, bei 'n Dineh oder so ... Und wenn er blo? 'ne Ahnung h?tt, wie gro? de Uffrejung in' janzen Volke is! ... Man kommt aus 'n Theater nach Hause um halb zw?lf ... Um fünf in der Früh mu? man schon wieder dastehen bei Kolonne, ja ... man zieht sich auf de Treppe de Stiebeln aus, um de Olle nich uffzuwecken, aber se liejt da mit jlockenklare Oogen! Und se schnüffelt mit de Neese, um de Tr?nen runterzuschlucken: 'Jott sei Dank, det Du man wieder da bist, Heinrich!' 'Na, wieso denn? Meenste, ick w?r' unter'n Rollwagen jeraten?' 'Nee, det nich, aber wejen Mobilmachung! De Schultzen drieben in Jrienkramkeller hat aus 'n Abendblatt vorjelesen, wir mü?ten jetzt ooch das Schwert ziehen, wenn de Russen jejen unsere Bundesbrieder, de Oesterreicher, losjehn würden.' 'Quatsch,' sag' ick natierlich, aber innerlich is mir jarnich so. 'Unser Friedenskaiser wird doch nich uff eenmal Krieg anfangen?' 'Nee,' sagt sie, 'er nich, aber die andern! Und wat mach' ick krankes Wurm denn nachher mit die vier J?ren, wenn se Dir dotschie?en? Ick steck' zehn Jroschen in' Jasautomaten, la? de Kleenen Schnaps trinken, und denn den Hahn uff.'?

Der alte Feldwebel legte ihm die Hand auf die Schulter.

?Na, na, na, beruhijen Se man det Frauchen! Und mit det Dotschie?en is es nicht so ?ngstlich! Sehen Se mich an! Vierundsechzig, Sechsundsechzig und Siebzig hab' ich mitjemacht, zweiunddrei?ig Jefechte und Schlachten. Darunter Düppeler Schanzen und St. Privat! Wat is mir passiert? De Dejenscheide haben se mir abgeschossen, so da? ick meinen Paddenspicker barfu? tragen mu?t'! Wat aber ihre sonstigen Beklemmungen sind, da sagen Se ihr, Se h?tten mit mir jesprochen! Nach meinen Informationen – wenn nich janz wat Dolles passiert – is an Krieg nich zu denken! Wir halten das scharfgeschliffene Schwert in der Scheide und unser Pulver trocken!?

?Na denn, Jott jebe, det es nich losjeht ...?

Durch die halbge?ffnete Flügeltür kam raschen Schrittes ein junger Offizier in Generalstabsuniform. Sein offenes, frisches Gesicht, in dem ein paar kluge blaue Augen standen, hatte etwas ungemein Liebenswürdiges und Sympathisches. Er hob h?flich die Hand an den Mützenschirm.

?Pardon, meine Herren, wenn ich st?re ... Sagen Sie mal, lieber Schmidt, ist Herr Hauptmann von Sternheimb schon gegangen??

Der Alte nahm die Hacken zusammen.

?Nein, Herr Hauptmann, ich h?tte es sonst sehen müssen.?

?Also ich gehe langsam voran, da drüben an der Litfa??ule werde ich warten. Guten Abend.?

?Jehorsamst guten Abend, Herr Hauptmann! Werd's ausrichten ...?

Der Beamte der Stra?enreinigung sah dem davonschreitenden Offizier wohlgef?llig nach.

?'n nobler Herr! Haben Se jeh?rt, Herr Feldwebel? 'Pardong, meine Herren,' hat er jesagt! Aber det so wat schon Hauptmann is ... ick hatt' jedacht, da kommt 'n janz junger Leutnant!?

?Ja,? sagte der alte Herr, und in seinem Ton klang liebevolle Bewunderung mit, ?so wat von Karriere war ooch noch nich da! Een K?ppken – det wird mal so sicher Kommandierender General, wie zwei mal zwei vier is! Zum Herbst is er hier fertig, dann kriegt er in der Front 'ne Schwadron, weil er doch früher Kavallerist war, und dann kommt er nach zwei Jahren zurück in' Jeneralstab!?

?I der Tausend! Wie hee?t er denn??

?Jaston Baron Foucar von Kerdesac!?

?Det klingt ja so franz?s'sch!?

?Is et ooch! Aus 'ne alte franz?sische Refugiehfamilje!?

Der Beamte der Stra?enreinigung schüttelte bedenklich den Kopf.

?Und denn in preu?'schen Jeneralstab? Wo er an alle Jeheimnisse 'ran kann und so??

Der alte Herr brauste zornig auf.

?Se werden sich Unannehmlichkeiten zuziehn, vastehn Se? Und haben Sie 'ne Ahnung! Mein Hauptmann Anno Siebzig hie? Baron de Saint-Villiers! Ooch 'n franz?sischer Name, aber er jing druff wie Blücher!?

Hauptmann von Foucar stand wartend an der Litfa?s?ule, las mechanisch die bunten Zettel, die das Vergnügungsprogramm der Reichshauptstadt enthielten, für Leute, die Zeit hatten. Und unwillkürlich mu?te er denken, fast fünf Jahre lebte er nun schon in Berlin, mit einer einzigen kurzen Unterbrechung, und von alledem, was sich da anpries, kannte er herzlich wenig. Früher, auf der Akademie, war er doch noch ab und zu einmal ins Theater gekommen, jetzt aber, seit er zum Gro?en Generalstabe kommandiert war, schluckte einen der Dienst mit Haut und Haaren auf. Ein bi?chen einseitig wurde man dabei und vielleicht auch reichlich weltfremd, aber das war nicht zu ?ndern.

Hinter ihm erklang das Rasseln eines S?bels, ein sporenklirrender Tritt. Er wandte sich um, statt des erwarteten Kameraden kam sein Abteilungschef gegangen. Ein hochgewachsener, hagerer Herr mit einem bartlosen Gelehrtengesicht, dem ein paar scharfblickende Augen unter buschigen Brauen einen Zug st?hlerner Energie verliehen.

Oberst Wegener hob zwei Finger der Rechten in die H?he des Mützenschirmes.

?Na, lieber Hauptmann, studieren Sie, in welches Theater Sie gehen wollen?? Die breite Aussprache einzelner Vokale verriet den geborenen Ostpreu?en.

Gaston von Foucar erwiderte respektvoll den Gru? seines Vorgesetzten.

?Dazu dürfte es schon zu sp?t sein, Herr Oberst!?

?Ja, n?chstens wird man sich in der alten Bude sein Bett aufschlagen müssen. Und, passen Sie auf, es kommt noch doller. Von Montag an werden wir – wie nennt man es doch in den Fabriken – ja richtig, Nachtschichten einlegen müssen! Na, wie ist's nun? Kommen Sie mit? Wenn ich nicht irre, haben wir denselben Weg nach dem Westen.?

?Sehr wohl, Herr Oberst.? Er nahm die Respektseite seines Chefs: ?Und es ist natürlich keine Neugierde – meinen Herr Oberst, da? dieses erh?hte Arbeitspensum unserer Abteilung nicht blo? eine Art von notwendiger Vorsichtsma?regel ist? Da? diesmal ein bestimmter Entschlu? dahinter steht??

Oberst Wegener hob die hageren Schultern.

?Ich habe den Befehl, für drei Armeekorps, die – entgegen dem bisherigen Mobilmachungsplan – nach Osten geschmissen werden sollen, die n?tigen Bef?rderungsmittel und Fahrpl?ne auszurechnen. Mehr wei? ich auch nicht, aber aus allerhand Anzeichen schlie?e ich, da? es diesmal endlich Ernst werden k?nnte. Es riecht sehr sengerig.?

?Na, Gott sei Dank!?

?Nicht wahr? Es w?re Zeit, da? die Herrschaften da drau?en einmal sehen würden, da? unsere Armee nicht blo? 'ne Vogelscheuche ist, der die Spatzen auf der Nase 'rumhopsen dürfen!?

Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her, der Oberst musterte den neben ihm schreitenden Untergebenen mit einem gewissen Wohlgefallen.

?Sagen Sie mal, lieber Foucar, Sie waren wohl nicht sehr begeistert, als man Sie für das letzte halbe Jahr in meine Abteilung verschmetterte??

?Wenn ich ganz ehrlich sein soll, Herr Oberst, ich war in der Tat ein bi?chen beteppert.?

?Kann ich verstehen. Den ganzen Tag Fahrpl?ne schmieden, Waggons 'ranschaffen und Anschlu?zeiten ausrechnen ...?

?Sehr wohl, Herr Oberst! Die erste Woche war ich auch ganz trostlos. Wenn ich abends 'rauskam, war mein Gehirn wie Brei von dem unabl?ssigen Rechnen, und ich schimpfte m?chtig. Dann aber ging mir der Seifensieder auf. Ich sah mit einem Male die gro?zügigen Linien in unserer Arbeit, ich empfand – m?chte ich sagen – mit einer gewissen Ehrfurcht ihre Wichtigkeit für den Erfolg des Schlages, zu dem der Feldherr ausholt. Ich will mal aufs Geratewohl sagen, in Modrilewo in Ostpreu?en sollen genau zwei Tage nach der Mobilmachung drei Regimenter Infanterie, ein Regiment Artillerie und – meinetwegen – die Gumbinner Ulanen stehen. Aber sie sind nicht da. Der Offizier in der Eisenbahnabteilung des Generalstabes hat ein paar Augenblicke lang ged?st ... in der Berechnung der Fahrplanzeiten hat sich ihm ein Fehler eingeschlichen, der auch bei der Revision nicht entdeckt wird. Das Verh?ngnis ist da! Also da, meine ich, mu? man mit Respekt auch an diese Arbeit herangehen, in jedem Augenblick an die gro?e Verantwortlichkeit denken, und dann f?ngt sie – merkwürdigerweise – auf einmal an zu schmecken!?

Um die bartlosen Lippen des Chefs flog ein L?cheln, er deutete auf die schmale Ledermappe, die sein Begleiter unter dem linken Arm trug.

?Na, und da haben Sie, genu?süchtiger Mensch, eine Portion davon über Sonntag nach Hause genommen??

?Nicht für mich, Herr Oberst. Ich habe zuf?lligerweise heute abend Schlu? machen k?nnen. Aber mein Nachbar, Oberleutnant Wentorp, mu?te morgen zu dem Begr?bnis einer alten Tante nach Frankfurt an der Oder.?

Der Oberst brummte etwas vor sich hin, was wie ?vielleicht auch Verlobung mit 'ner jungen Cousine? klang, und laut fügte er hinzu: ?Da haben Sie sich die Arbeit also gutmütigerweise aufh?ngen lassen!?

?Was sollte ich machen, Herr Oberst? Sie mu? doch nun einmal bis Montag früh fertig sein!?

?Wenn der Herr Wentorp in der Woche sich mehr 'rangehalten h?tte ... na sch?n!? Und wieder nach einer kurzen Pause fragte er weiter: ?Nach dem Man?ver – wenn mit Gottes Hilfe nichts dazwischen kommt – werden Sie nun wieder in die Front kommandiert. Sie m?chten natürlich zu ihrem alten Regiment zurück, zu den Karlsburger Ulanen??

?Nein, Herr Oberst, ich m?chte gerne an die Grenze nach Osten. Speziell nach Ostpreu?en. Ich habe mal in der Eisenbahn einen Roman gelesen, der dort spielte. Vielleicht mu?te man von den begeisterten Schilderungen ein wenig auf das Konto der Heimatsliebe setzen, die den Verfasser beseelte ... aber seit der Zeit habe ich eine gewisse Sehnsucht nach diesem Land der dunklen W?lder und blauen Seen. Nur, wo ich nicht die geringste Protektion habe, keine Stelle wei?, an der ich eine bescheidene Bitte vortragen k?nnte ...?

Der Oberst hob, ein wenig argw?hnisch, den Kopf. Wenn das ein ?Schuster? war, war es jedenfalls ein sehr geschickter ... aber nein, aus jahrelanger Praxis besa? er ein Ohr, das für diese Sorte von streberischen Schmeichlern besonders gesch?rft war.

?So, so, nach Ostpreu?en! Ich kann Ihnen sagen, auch die Menschen dort sind kein übler Schlag. Es lohnt sich, sie n?her kennen zu lernen. Und wenn Sie sich an einen gewissen Oberst Wegener wenden wollten ...?

?Ach Gott, Herr Oberst ...?

Der Chef lachte kurz auf.

?Ne, ne, man nicht so voreilig. Der Oberst Wegener ist blo? ein kleines Kirchenlicht, aber wenn's n?tig ist, kennt er gewisse Schleichwege von hinten 'rum. Und der Kommandeur von den Ordensburger Dragonern ist ein guter Freund von ihm, in zirka fünf Wochen will der einen seiner Schwadronchefs abs?gen, sp?testens, hat er mir geschrieben, in fünf Wochen. Also würden Sie sehr beleidigt sein, wenn Sie ausnahmsweise schon vor dem Man?ver hier aus der Rechnerei 'rauskommen würden??

?Ach Gott, Herr Oberst ..., und ich wei? wirklich nicht ...?

?Ne, ne, ich wei? ja noch gar nicht, ob's auch einschnappen wird! Und, was ich fragen wollte, hat der Dichter da, von dem Sie vorhin sprachen, auch was über die ostpreu?ischen M?dels geschrieben??

?Einen Hymnus, Herr Oberst!?

?Da hat er recht! Und Sie sind doch hoffentlich noch frei??

Der Hauptmann von Foucar lachte.

?Ganz und gar! Der k?nigliche Dienst l??t einem ja keine Zeit ...?

?Na, denn verplempern Sie sich auch nicht etwa noch in den letzten Wochen! Und lassen Sie sich nicht beirren, wenn nachher in Ordensburg die kleinen Margellchen 'Kartoffelkeeilchen' sagen und 'Aerbsen mit Sp?ck' ... Das ist nur ein kleines Sommerspro?chen, tut der übrigen Sch?nheit keinen Eintrag. Aber jetzt adieu ... ich sehe da ein leeres Auto kommen, und eben f?llt mir ein, meine Frau hat für heute abend ein paar G?ste geladen.? Er grü?te rasch und ging mit langen Schritten über den Stra?endamm.

?He, Chauffeur, Uhlandstra?e 51!? Und im Einsteigen rief er zurück: ?Sehen Sie, lieber Foucar, manchmal geht's auch ohne Protektion! Man mu? nur vor die rechte Schmiede kommen ...?

Gaston von Foucar winkte mit der Hand einen respektvollen Gru?, und es stieg ihm hei? in den Augenwinkeln empor. Welch ein pr?chtiger Mensch, sein sonst so verschlossener und wortkarger Chef! Die angebliche Gesellschaft zu Hause war doch nichts weiter als ein Vorwand, sich den Dankesbezeigungen seines Untergebenen zu entziehen! Na, das lie? sich ja am Montag im Bureau nachholen, oder besser noch, man bewies seinen Dank mit der Tat. Arbeitete diese letzten Wochen noch sch?rfer als bisher, damit der Oberst auch sah, da? er seine Gunst keinem Unwürdigen zugewandt hatte. Ein unb?ndiges Glücksgefühl schwellte seine Brust. In fünf Wochen war er drau?en, wieder in der Front! Sauste an der Spitze einer Schwadron – seiner Schwadron – über das Blachfeld, den blanken S?bel in der Faust ... Wenn das Glück gut war, gleich über die Grenze, in Feindesland ... Wahrhaftig, Zeit war es, da? das deutsche Vaterland sich einmal darauf besann, das Schwert aus der Scheide fliegen zu lassen und mit m?chtigen Schl?gen um sich zu hauen. Die Herrschaften rechts und links bildeten sich sonst wom?glich ein, es w?re eine eingerostete alte Plempe, auch kein Stahl mehr, sondern ein mit Stanniol beklebter Waschlappen ... eia, das sollte eine Entt?uschung geben! ... Und mitten in aller Freude flog es ihm durch den Sinn, von welchen Zuf?lligkeiten doch Menschenschicksale gelenkt wurden. Wenn er sich aus irgendeinem Grunde ein paar Minuten l?nger bei der Arbeit aufgehalten h?tte, w?re die so folgenreiche Begegnung mit dem Chef doch niemals zustande gekommen.

Also hatte er mal wieder Glück gehabt, richtiges Soldatenglück, und eigentlich h?tte es sich geh?rt, auf dieses fr?hliche Ereignis eine gute Flasche zu setzen. Aber schlie?lich, wenn er auch in das Restaurant fuhr, in dem er sich ab und zu mit einigen Herren seiner Abteilung traf, so nahe stand ihm keiner von ihnen, da? er h?tte sagen k?nnen: ?Kommen Sie, ich mu? Ihnen bei 'nem Glas Sekt erz?hlen, was ich eben für einen Riesendusel entwickelt habe ...? So etwas verwahrte man am besten still im eigenen Busen, wenn es bei dem anderen nicht sehr gut aufgehoben war ... Und dann war da auch die nun mal übernommene Arbeit, und schlie?lich konnte man die gute Flasche auch für sich allein zu Hause trinken, der kleinen alten Dame im Schwabel?ndle einen Gru? schicken ... Sie war doch die einzige, die sich ehrlich freute, wenn ihr Junge wieder 'mal Glück gehabt hatte. Die S-Bahn kam gefahren, bremste an der Haltestelle, er stieg auf ... es ging über den Gro?en Stern nach Hause.

Auf dem Hinterperron des Anh?ngewagens stand ein kleiner junger Herr in modisch geschnittenem Sommerpaletot. Er lüftete grü?end den Hut, an seinem rechten Handgelenk blitzte ein goldenes Kettenarmband. Hauptmann von Foucar erwiderte den Gru?, aber konnte sich nicht entsinnen, wo er den Herrn kennen gelernt haben mochte. Der stellte sich ihm gegenüber: ?Herr Hauptmann besinnen sich wohl nicht mehr auf mich??

?Ich mu? in der Tat sagen, so im Augenblick ...?

Der kleine Herr lüftete wieder seinen Hut.

?Ich hatte vor einiger Zeit einmal im Pschorr die Ehre ... Segebrecht von den Malchower Dragonern.?

?Ach so, jetzt natürlich ... Sie sind wohl wieder mal zum Rennen hier??

?Ja, ich reite morgen im Grunewald den Marghilan meines Regimentskameraden Hollenbeck. Wenn ich Herrn Hauptmann einen Tip geben darf: da ist auf Sieg und Platz eine ganz anst?ndige Quote zu landen.?

?Danke verbindlichst, aber ich glaube kaum, da? ich morgen Zeit finden werde ...?

Der Kleine griff eifrig in die Tasche.

?Nun, für alle F?lle – wenn ich mir gestatten darf – ein Tribünenbillett ...?

?Aber, ich bitte sehr, dafür werden Sie doch sicher eine bessere Verwendung haben.?

?Nein, wahrhaftig nicht ... ich habe es zudem selbst geschenkt gekriegt.?

?Nun denn, sch?nsten Dank? – Gaston von Foucar schob das Billett unter den Aermelaufschlag seines Ueberrockes – ?und Weidmannsheil für morgen!?

Der Malchower Dragoner klappte die Hacken zusammen.

?Weidmannsdank, Herr Hauptmann! Und merken Sie sich den Namen Marghilan im Fortuna-Jagdrennen. Es ist das vorletzte. Herr Hauptmann k?nnen getrost ein Pfund auf meine Chance riskieren. Es gibt todsicher zwanzigfaches Geld, denn au?er mir hat niemand eine Ahnung, da? der Gaul so grobe Klasse ist! Na und schlie?lich, der Steuermann, der draufsitzt, ist doch auch kein Neuling zwischen den bunten Flaggen.?

Gaston mu?te unwillkürlich l?cheln. Wie siegesgewi? der kleine Dragoner dastand ...

?Na, wenn die Sache so absolut sicher ist ... Aber wie soll ich mich nun für den zu erwartenden Riesengewinn revanchieren??

?Indem Herr Hauptmann mir ebenfalls einen kleinen Tip geben.? Der junge Offizier trat ein wenig n?her und sprach halblaut: ?Unsereins da in der Provinz hat doch keinen Schimmer, was wirklich passiert ... also glauben Herr Hauptmann, da? es Krieg geben wird?? Es war dieselbe Frage, die in diesen aufgeregten und schweren Zeiten auf aller Lippen stand.

Gaston zuckte mit den Achseln.

?Da fragen Sie mich zuviel, Herr Segebrecht. Das kann kein Mensch in diesem Augenblick wissen.?

?Nun, ich meine, die Herren im Generalstabe k?nnen doch aus den ihnen zugewiesenen Arbeiten immerhin einige Schlu?folgerungen ziehen.?

?Ganz recht, aber Sie übersch?tzen mich. Ich bin in dem Riesenbetrieb nur ein ganz kleines R?dchen, das an dem ihm zugewiesenen Platze mechanisch sein Pensum herunterschnurrt.?

Der kleine Dragoner machte ein etwas niedergeschlagenes Gesicht.

?Herr Hauptmann wollen blo? nicht! Und da kommt man nun übermorgen zurück in das kleine Nest, alles bestürmt einen mit Fragen, der Kommandeur an der Spitze: 'Na, Segebrecht, haben Sie in Berlin was Neues geh?rt? Wann reiten wir nun?' Da steht man denn ganz bl?d da ... Und zum Schwindeln ist die Sache selbst doch viel zu ernst.?

?Ganz gewi?! Vor allem viel zu ernst, um mit einigen leichtfertig hingesprochenen Redensarten allerhand Befürchtungen oder Hoffnungen zu wecken. Empfehlen Sie mich Ihrem Herrn Kommandeur, unbekannterweise, und es l?gen durchaus keine Anzeichen vor, aus denen man schlie?en k?nnte, der Krieg w?re n?her als sonst in all den letzten Jahren. Es wird scharf gearbeitet natürlich.?

Der Wagen hielt auf der Corneliusbrücke, der Malchower Dragoner streckte seinem Gegenüber respektvoll die Hand entgegen.

?Hei?en Dank, Herr Hauptmann! Man wei? doch jetzt Bescheid, und es wird meinem Kommandeur riesig imponieren, wenn ich ihm auf Grund so autoritativer Auskunft ein Exposé über unsere ausw?rtige Lage hinschmettern kann – aus dem Handgelenk! ... Aber jetzt müssen Herr Hauptmann mich entschuldigen, ich habe in der N?he noch einen Besuch in Familie zu erledigen.?

Er stieg eilig aus, und Gaston sah ihm l?chelnd nach. Die ?Familie? schien in einer schlanken jungen Dame zu bestehen, die vom Brückengel?nder her mit ausgestreckter Hand auf ihn zutrat. Ein netter kleiner K?fer war's, und er hatte recht, der Malchower Dragoner! Ein paar weiche M?dchenlippen waren kurzweiliger als ein muffig riechendes Aktenstück, in dem endlose Zahlenreihen umzurechnen waren. Und wer mochte wissen, wer auf dem besseren Wege war, der ehrgeizige Arbeiter, der sich kaum eine Pause des Verschnaufens g?nnte auf dem steilen Wege zum Ziel, oder der sorglos dahinlebende Leutnant? Kein M?del am Wege, dem er nicht keck den Hof machte, kein Trunk im Glase, den er verschm?hte. Wenn die Stunde schlug, hatte er wenigstens etwas genossen vom Leben! Und die Kugel, die geflogen kam, machte keinen Unterschied. Ob der Sch?del da sich mit hochfliegenden Pl?nen trug, oder ob hinter ihm leichtfertige Gedanken wohnten, Spiel, Weiber, Rennen und Jagen.

Das Blut ging ihm unruhiger als sonst durch die Adern. Als er jedoch zu Hause war, setzte sich der Hauptmann von Foucar hinter das Aktenstück. In ein paar Stunden glaubte er fertig zu sein, aber der Oberleutnant Wentorp, der angeblich in Frankfurt an der Oder eine alte Tante begrub, hatte von seiner kameradschaftlichen Gef?lligkeit einen etwas ausgiebigen Gebrauch gemacht. Das war die Arbeit von zwei Tagen, die er ihm da aufgehalst hatte.

Sein Bursche, ein biederer Schwab von den Karlsburger Ulanen, erschien in der Stubentür.

?Habe der Herr Hauptmann sonscht noch Befehle??

?Ja, H?berle. Brühen Sie mir einen kr?ftigen Tee auf, es wird heut wohl wieder mal eine lange Nacht geben.?

?Befehl, Herr Hauptmann.?

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