Er stand da, sein Gesicht eine Maske aus Gleichgültigkeit, als seine Mandantin mir ins Gesicht schlug. Er drohte, mir meine Tochter wegzunehmen, und nannte mich eine ungeeignete Mutter.
„Unterschreiben Sie“, sagte er mit eisiger Stimme. „Oder wir sehen uns vor Gericht, und ich werde Ihnen alles nehmen. Angefangen bei Ihrer Tochter.“
Er wusste nicht, dass Kira sein Kind war. Er wusste nicht, dass ich im Sterben lag. Er wusste nur, dass er mich hasste, und er hatte jetzt eine neue Familie mit genau der Frau, deren Familie meine zerstört hatte.
Ich hatte alles geopfert, um ihn zu schützen, ihn mit grausamen Lügen von mir gestoßen, damit er eine Zukunft haben konnte. Aber mein Opfer hatte ihn in ein Monster verwandelt, und er war nun die Waffe, die benutzt wurde, um mich vollständig zu vernichten.
Um unsere Tochter zu retten, gab ich mein Geld für die lebensrettende Behandlung auf und schickte sie weit weg. Während er im Stockwerk über mir die Geburt seines neuen Kindes feierte, starb ich allein in einem Krankenhausbett.
Aber ich hinterließ ihm einen Brief. Einen Brief, der seine perfekte Welt in Schutt und Asche legen würde.
Kapitel 1
Elara „Elli“ Neumanns Sicht:
Vor sechs Jahren habe ich den einzigen Mann, den ich je geliebt habe, zerstört, um ihn zu retten. Heute ist er in mein Leben zurückgekehrt, um mir das Einzige zu nehmen, was mir noch geblieben ist.
Der Mediationsraum war kalt, die Luft schwer vom Geruch nach billiger Plörre und unausgesprochenem Groll. Auf der anderen Seite des polierten Mahagonitischs tupfte sich Gudrun Schmidt, die Schwester meines verstorbenen Scheinehemanns, mit einem Taschentuch die trockenen Augen. Eine reine Show, eine gespielte Trauer, so hohl wie die Ehe, die uns verband.
Meine eigene Trauer war ein stiller, ständiger Schmerz, ein Begleiter, an den ich mich gewöhnt hatte, ähnlich wie die Müdigkeit, die sich tief in meinen Knochen festgesetzt hatte. Leukämie, hatten die Ärzte gesagt. Eine tickende Uhr, deren Ticken ich mir nicht leisten konnte, zuzuhören. Alles, was ich wollte, war, meine verbleibende Zeit mit meiner Tochter Kira zu verbringen, nicht in einem sterilen Raum, in dem ich gegen eine haltlose Sorgerechtsklage kämpfte.
Ich hatte dieser Mediation zugestimmt, um die Kosten und die Öffentlichkeit eines Prozesses zu vermeiden, in der Hoffnung, eine stille Einigung würde Gudrun und ihre Gier verschwinden lassen.
Dann öffnete sich die Tür, und meine Welt geriet aus den Fugen.
Benno Richter.
Er war nicht mehr der Junge, dessen Lachen in meinen Erinnerungen an die Uni Hamburg widerhallte, derjenige, der in seinem winzigen Wohnheimzimmer Sternbilder auf meinen Rücken gezeichnet hatte. Dieser Mann war ein Fremder, geformt aus Eis und Ehrgeiz. Sein Anzug war makellos geschneidert, sein Kiefer wie Stein, und seine Augen – dieselben tiefen, seelenvollen Augen, in denen ich mich einst verloren hatte – waren jetzt kalte, abschätzende Leeren. Er war der gegnerische Anwalt. Natürlich war er das. Das Universum hatte einen grausamen Sinn für Humor.
Gudruns schrille, kratzende Stimme zerriss die Stille. „Da ist sie ja. Die schwarze Witwe. Sehen Sie sie sich an, Benno. Keine einzige Träne für meinen armen Bruder.“
Ich zuckte zusammen, mein Blick starr auf die Maserung des Tisches gerichtet.
„Wahrscheinlich hat sie ihn die ganze Zeit betrogen“, spie Gudrun, ihre Stimme wurde lauter. „Mein Bruder war ein guter Mann, ein Heiliger, dass er eine Frau wie sie aufgenommen hat. Eine gefallene Millionärstochter mit einem Bastard!“
Die Mediatorin, eine müde aussehende Frau in den Fünfzigern, räusperte sich. „Frau Schmidt, lassen Sie uns bitte einen professionellen Umgangston wahren.“
Gudrun ignorierte sie, ihre Augen auf mich gerichtet. „Ich will eine Entschädigung. Für den seelischen Schmerz meines Bruders. Er ist an einem gebrochenen Herzen gestorben, sage ich Ihnen!“
„Er ist an Krebs gestorben, Gudrun“, sagte ich, meine Stimme kaum ein Flüstern.
„Wegen dir!“, kreischte sie und stürzte sich über den Tisch. Ihre Hand knallte gegen meine Wange, die Wucht ließ meinen Kopf zur Seite schnellen. Der Schmerz war scharf, aber nichts im Vergleich zu dem Eis, das meine Adern durchströmte, als ich Benno ansah.
Er stand einfach nur da. Regungslos. Sein Gesicht war eine Maske der Gleichgültigkeit, während er zusah, wie seine Mandantin mich angriff. Der Benno, den ich kannte, hätte sich für mich vor einen Bus geworfen. Dieser Mann würde nicht einmal einen Raum durchqueren.
Ich rührte mich nicht. Ich schrie nicht auf. Ich nahm den Schlag einfach hin, mein Stolz war der einzige Schild, der mir geblieben war.
„Das reicht, Gudrun“, sagte Benno schließlich, seine Stimme ohne jede Emotion. Sie war ruhig, abgemessen, die Stimme eines Anwalts, der einen Gerichtssaal beherrscht, nicht die eines Mannes, der zusieht, wie eine Frau, die er einst liebte, geschlagen wird.
Ich erinnerte mich, wie er in einem Gewitter meinen Namen geschrien hatte, sein Gesicht von Regen und Tränen überströmt, und mich anflehte, ihn nicht zu verlassen. Der Kontrast war ein körperlicher Schlag, der mir die Luft aus den Lungen presste.
Er trat vor und legte mit einem leisen Geräusch eine Akte vor mir auf den Tisch. Seine langen, eleganten Finger strichen über das Papier. „Unterschreiben Sie das.“
Der Duft seines Parfums, ein sauberer, herber Duft, den ich nicht wiedererkannte, füllte den Raum zwischen uns. Ich dachte an die Zeit, als er „Ich werde Elli Neumann für immer lieben“ auf eine Bierserviette gekritzelt und sie über den Tisch geschoben hatte, es einen bindenden Vertrag nennend. Mein Herz verkrampfte sich.
Ich senkte den Blick, unfähig, seinen zu erwidern. Die Erinnerung an unsere letzte gemeinsame Nacht brannte hinter meinen Augen. Sein Gesicht, gebrochen und verwirrt, als ich die grausamsten Worte ausspuckte, die ich aufbringen konnte. „Du warst ein Sozialprojekt, Benno. Ein lustiges kleines Experiment. Hast du wirklich geglaubt, jemand wie ich würde bei jemandem wie dir landen?“
Es waren Lügen, jede einzelne, erfunden, um ihn von der Katastrophe meines Lebens abzutrennen, um ihn vor den Kredithaien und Kriminellen zu schützen, die der Ruin meines Vaters entfesselt hatte. Aber in diesem kalten, sterilen Raum fühlten sich diese Lügen an wie die einzige Wahrheit, die zwischen uns existierte.
„Du hast meinen Bruder betrogen“, höhnte Gudrun, wieder auf ihrem Platz, aber immer noch vor Wut zitternd. „Du schuldest uns etwas. Wenn du nicht zahlen kannst, nehmen wir das Kind. Sie kann deine Schulden abarbeiten.“
Mein Kopf schnellte hoch, ein schützendes Grollen baute sich in meiner Brust auf. „Du wirst meine Tochter nicht anrühren.“
Ich griff nach dem Stift, aber meine Hand zitterte heftig. Die Chemotherapie hatte ein Zittern hinterlassen, das ich nicht kontrollieren konnte.
„Markus und ich hatten eine Vereinbarung“, sagte ich mit zitternder Stimme. „Es war eine geschäftliche Abmachung. Er brauchte eine Pflegerin, und ich brauchte einen Namen für meine Tochter, damit sie nicht gemobbt wird.“
„Lügen!“, kreischte Gudrun. „Mein Bruder würde nicht…“
„Ruhe“, befahl Benno, und sie verstummte. Er richtete seinen eisigen Blick auf mich. „Elara Neumann. Die große Elara Neumann. Ich hätte nie gedacht, dass ich den Tag erleben würde, an dem du in einer Mediation um Peanuts feilschst.“
Mein Atem stockte. Er wusste genau, wo er ansetzen musste.
„Verschwenden wir keine Zeit mehr“, fuhr er fort, sein Tonfall kurz und professionell. „Meine Mandantin ist bereit, sich mit fünfhunderttausend Euro zufriedenzugeben. Ein kleiner Preis, um Ihre Tochter zu behalten, finden Sie nicht? Für jemanden, der früher so viel für eine einzige Party ausgegeben hat.“
Ich starrte auf die Vergleichsvereinbarung, die schwarze Tinte verschwamm durch einen Film unvergossener Tränen. Ich dachte wieder an sein Gesicht in jener letzten Nacht, an die Art, wie seine Schultern in Niederlage zusammensackten, das Bild seiner gebrochenen Silhouette, das sich in mein Gedächtnis eingebrannt hatte. Jetzt war er ganz scharfe Kanten und Erfolg, ein Mann, der durch meinen Verrat neu erschaffen worden war.
„Ich habe nicht so viel Geld, Benno“, flüsterte ich, das Eingeständnis kostete mich den letzten Rest meines Stolzes. „Und meine Gesundheit … ich kann nicht …“
„Ihre Ausreden interessieren mich nicht, Elli“, unterbrach er mich, seine Stimme wie splitterndes Eis. „Dies ist eine rechtliche Angelegenheit, keine rührselige Geschichte. Ihre Gefühle sind hier irrelevant.“
Er beugte sich vor und tippte mit einem manikürten Finger auf die Unterschriftenzeile. „Unterschreiben Sie. Oder wir sehen uns vor Gericht, und ich nehme Ihnen alles. Angefangen bei Ihrer Tochter.“
Eine einzige, heiße Träne entkam und bahnte sich einen Weg über meine Wange. Ich wischte sie wütend weg. Nein. Ich würde ihm nicht die Genugtuung geben. Ich würde keinem von ihnen geben, was sie wollten.
Ich hatte so wenig Zeit. Wochen. Vielleicht Monate, wenn ich Glück hatte. Jede Sekunde war kostbar, und ich würde sie nicht damit verbringen, einen aussichtslosen Kampf gegen den Mann zu führen, der meine Vergangenheit und nun auch meine Zukunft in seinen Händen hielt. Aber ich konnte Kira nicht verlieren.
Er sah, wie der Kampfgeist aus meinen Augen wich. Er sah, wie ich zerbrach.
„Vor Gericht, Elli“, warnte er, seine Stimme ein leises, eiskaltes Flüstern, „werden Sie feststellen, dass ich keine Gnade kenne.“
Ein bitteres Lächeln huschte über meine Lippen. „Ich weiß. Ich bin bereits eine wandelnde Leiche, Benno.“
Sein Handy summte auf dem Tisch und leuchtete mit einem Bild auf, das die letzten, zerbrechlichen Stücke meines Herzens zerschmetterte. Es war ein Sperrbildschirmfoto von ihm und einer wunderschönen, zart aussehenden Frau, deren Kopf auf seiner Schulter ruhte. Annika Meissner. Ihre Familie hatte den Ruin meiner Familie inszeniert. Auf dem Foto hielt sie einen kleinen Jungen, und ihre andere Hand ruhte auf einem sanft gerundeten Bauch.
Er war verheiratet. Er hatte eine Familie. Eine neue Familie.
Die Luft in meinen Lungen wurde zu Asche. All die geheime, dumme Hoffnung, an die ich mich sechs Jahre lang geklammert hatte – dass er vielleicht, eines Tages, verstehen würde – all das starb in diesem Moment.
Ich tastete nach meiner abgenutzten Handtasche auf dem Boden, ein verzweifeltes Bedürfnis zu fliehen übermannte mich. Meine Hände zitterten so sehr, dass die Tasche mir entglitt und ihr Inhalt sich über den Boden verteilte. Lippenstifte, Kleingeld und ein Dutzend bernsteinfarbener Rezeptfläschchen. Meine lebensrettenden, lebensverlängernden Medikamente, verstreut zu seinen Füßen.
Er stand auf, um zu gehen, doch dann erstarrte er. Sein Blick fiel von meinem Gesicht auf den Boden, dann wieder hoch. Ein Flackern von etwas – Verwirrung, Misstrauen – huschte zum ersten Mal über seine Züge.
Er machte einen Schritt auf mich zu, seine Stimme gefährlich leise. „Das Mädchen, Kira. Wie alt ist sie?“ Bevor ich antworten konnte, verengten sich seine Augen. „Wer ist ihr Vater, Elli?“