Er überließ mich allein der Demütigung. Dann kam eine Nachricht über den öffentlichen Führungskanal, die alle hören konnten. Es war Bastian, der verkündete, dass Marina versucht hatte, sich das Leben zu nehmen, und er sie nicht verlassen könne.
Dann hatte er die Dreistigkeit, mir zu befehlen, mich in seinem Namen beim Alpha-König für die „Störung“ zu entschuldigen.
Der Mann, den ich sechs Jahre lang geliebt hatte, der mir noch in der Nacht zuvor die Ewigkeit versprochen hatte, hatte meine Ehre für eine Lüge verkauft. Er machte mich vor dem gesamten Kontinent zum Gespött.
In dieser Nacht, als ich meinen Kummer in einer Bar in der Stadt ertränkte, traf ich auf den Alpha-König höchstpersönlich. Angetrieben von Whisky und gebrochenem Herzen machte ich ein waghalsiges Angebot.
„Er will mich nicht mehr“, lallte ich. „Alpha, willst du mich heute Nacht?“
Zu meinem Schock nahm er an. Und in seinen Armen entdeckte ich eine umwerfende Wahrheit: Der Alpha-König, der Onkel meines Ex-Verlobten, war mein wahrer Seelengefährte. Meine Rache hatte gerade erst begonnen.
Kapitel 1
Elena POV:
Das zeremonielle Kleid fühlte sich bleischwer auf meinen Schultern an, jeder Silberfaden eine Kette, die mich nach unten zog.
Ich stand auf dem heiligen Grund des Silberbach-Rudels, unter dem wachsamen Auge des Vollmonds. Heute Abend sollte ich die Gefährtin unseres Rudel-Betas, Bastian, werden. Unsere Verbindung sollte ein großes Fest sein, bezeugt nicht nur von unserem eigenen Rudel, sondern auch von unseren mächtigen Oberherren, dem Blutmond-Rudel.
Ihr Alpha-König, Damian, saß auf einem geschnitzten Thron am Rande der Lichtung, seine Anwesenheit eine stille, erdrückende Macht, die die Luft selbst dick werden ließ.
Bastian stand neben mir, aber er war nicht wirklich bei mir. Seine Augen waren fern, abwesend. Ich konnte das leise Summen seiner Gedankenverbindung spüren, die telepathische Verbindung, die alle Werwölfe teilen. Es ist eine private Leitung in deinem Kopf, ein Geschenk der Mondgöttin. Er sprach mit jemandem, und es war nicht ich.
„Bastian“, flüsterte ich, meine Stimme kaum ein Rascheln von Blättern. „Der Älteste wird gleich beginnen. Bitte, zeig der Göttin Respekt.“
Er zuckte zusammen, seine Augen trafen endlich meine. Da war keine Liebe, nur blanke Panik. Dann überflutete seine Stimme meinen Geist, kalt und eindringlich.
*Marina hat Schwierigkeiten. Ich muss gehen. Gib mir eine halbe Stunde.*
Mir lief es eiskalt den Rücken herunter. Marina. Die zerbrechliche kleine heimatlose Wölfin, die er aufgenommen hatte, die ihn mit großen, anbetenden Augen ansah.
Bevor ich es verarbeiten konnte, war er schon in Bewegung.
„Beta Bastian, wohin gehst du?“, rief einer der Ältesten, seine Stimme scharf vor Missbilligung.
„Ich muss weg!“, Bastians Stimme war laut, angespannt. Er sah mich nicht an, sah niemanden an außer den dunklen Wald jenseits der Lichtung.
„Bastian, nein!“, flehte ich und griff nach seinem Arm, aber er war schon weg.
Mit einem Geräusch, das halb Knurren, halb Schluchzen war, ließ er seinen Wolf die Kontrolle übernehmen. Die Verwandlung war brutal und schnell, das Geräusch von brechenden und sich neu formenden Knochen hallte in der entsetzten Stille wider. In Sekunden stand ein großer brauner Wolf da, wo mein Verlobter gewesen war. Er warf mir einen einzigen, schuldigen Blick zu, bevor er in die Bäume schoss.
Er war weg.
Er ließ mich allein bei meiner eigenen Paarungszeremonie stehen, vor zwei Rudeln, vor dem Alpha-König selbst.
Mein Herz hämmerte gegen meine Rippen. Ich versuchte, ihn über unsere private Gedankenverbindung zu erreichen, die wir jahrelang gepflegt hatten.
*Bastian? Wo bist du? Was ist los?*
Stille. Er hatte sie gekappt. Er hatte mich komplett ausgesperrt.
Ein verzweifelter Gedanke krallte sich in meinem Kopf fest: Er hat mich vor allen für eine andere Frau blamiert.
Die halbe Stunde, um die er gebeten hatte, dehnte sich zu einer Ewigkeit. Das Flüstern der Menge wurde lauter, eine Flut aus Mitleid und Hohn, die mich zu ertränken drohte. Endlich summte eine neue Nachricht durch meinen Kopf. Sie war von Bastian, aber nicht auf unserer privaten Verbindung. Er schickte sie an den Führungskanal des Rudels – ein Kanal, auf dem ich nur war, weil ich seine beabsichtigte Gefährtin war. Ein Kanal, auf dem der Alpha-König mit Sicherheit auch war.
Seine Stimme war kalt, distanziert und absolut demütigend.
*Marina hat versucht, sich das Leben zu nehmen. Ich kann sie nicht allein lassen. Elena, du wirst dich in meinem Namen bei den Ältesten und dem Alpha-König für diese Störung entschuldigen.*
Mich für ihn entschuldigen? Für diese Erniedrigung?
Meine Gedanken schossen zurück zu letzter Nacht. Er hatte mich fest an sich gedrückt und Versprechen auf meine Haut geflüstert. „Du wirst meine einzige Beta-Gefährtin sein, Elena. Für immer.“
Lügen. Alles davon.
Ich blickte auf das Meer von Gesichtern, ihre Mienen eine Mischung aus Mitleid für den schwachen Omega und Verachtung für die Närrin, die gerade öffentlich verlassen wurde. Ich würde nicht weinen. Ich würde ihnen nicht die Genugtuung geben.
Mit einem tiefen Atemzug, der nichts tat, um den Sturm in mir zu beruhigen, raffte ich die schweren Röcke meines Kleides. Ich ging allein zur hohen Plattform, wo die Ältesten standen, meine Schritte fest, obwohl meine Welt zusammenbrach.
Meine Stimme zitterte, aber sie trug über die stille Lichtung, klar und endgültig.
„Meine Verlobung mit Beta Bastian ist beendet.“