Versteckt in meiner eigenen Garage hörte ich das Gespräch, das meine Welt zertrümmerte. Mein Sohn war nicht einfach ausgerutscht und in den Fluss gefallen. Er rannte in panischer Angst, erschreckt vom Geräusch ihres wilden, sorglosen Treibens in der Nähe.
Ihre Affäre hat mein Baby getötet.
Als dieser Schrecken über mich hereinbrach, wurde unser Gefährtenband, das für die Liebe bestimmt war, zu einem Folterwerkzeug. Es zwang mich, jede Sekunde seiner Lust zu spüren, als er sie sich wieder nahm, direkt dort im Auto, nur wenige Meter von meinem Versteck entfernt.
Er und seine Mutter hängten mir dann Kindesmisshandlung an, ließen die Asche meines Sohnes ausgraben und in der Kanalisation herunterspülen und schlugen mich mit einer Silberpeitsche, bevor sie mich bei einem Rudel wilder Abtrünniger dem Tod überließen.
Aber ich habe überlebt. Und ich traf eine Entscheidung. Ich würde keine Rache suchen. Ich würde das Vergessen suchen.
Ich fand ein Rudel, das verbotene Magie praktizierte, ein Ritual, das meinen Geist reinwaschen konnte.
Ich würde ihn auslöschen, unseren Sohn und jede Erinnerung an mein altes Leben. Ich würde wiedergeboren werden.
Kapitel 1
SERAPHINAS SICHT:
Der Vollmond hing wie eine silberne Narbe am Himmel, ein perfekter, spöttischer Kreis. Vier Jahre. Auf den Tag genau vier Jahre war es her, dass das Licht meines Lebens, mein einziges Kind, Zayn, erloschen war.
Meine Finger zitterten, als ich das Auto parkte. Das Archiv des Schwarzmond-Rudels war ein altes Steingebäude in Goslar, das nach antikem Papier und Geheimnissen roch. Heute Abend war ich hier, um das letzte Seelenfrieden-Ritual für Zayn durchzuführen. Eine kleine, private Zeremonie, um seinem Geist zu helfen, Frieden zu finden. Es war alles, was mir geblieben war.
Der Älteste am Schreibtisch der Akten, ein gebeugter Wolf mit trüben Augen, begrüßte mich mit einem respektvollen Nicken. „Luna Seraphina.“
„Ich bin wegen des Seelenfriedens hier“, sagte ich mit dünner, flüsternder Stimme.
Er nickte langsam und zog ein schweres, in dunkles Leder gebundenes Buch hervor. „Natürlich. Wir müssen nur die Blutlinien für das Ritual überprüfen.“
Er fuhr mit einem knorrigen Finger die Seite entlang. „Alpha Damian Schwarz, Ihr Gefährte. Ein Kind, Zayn Schwarz, verstorben.“ Er hielt inne, seine Stirn war gerunzelt. „Ah, und … ein weiteres.“
Eiskalte Furcht, schwer und dick, machte sich in meinem Magen breit. „Welches weitere?“
Der Älteste blinzelte auf das Buch. „Ein zweites Kind. Orion. Der Name der Mutter ist als Lila aufgeführt.“
Lila.
Der Name traf mich wie ein körperlicher Schlag. Lila, die Wölfin, die so besessen von Damian gewesen war, dass sie verstoßen und wegen ihres unerbittlichen Stalkings zur Abtrünnigen erklärt worden war. Das war Jahre her.
Genau in diesem Moment breitete sich eine Wärme in meinem Geist aus, eine vertraute Präsenz. Es war Damian, der unsere Gedankenverbindung nutzte. Die heilige Verbindung zwischen vorbestimmten Gefährten, die ein Kanal reiner Wahrheit und Liebe sein sollte.
„Mein Mond“, hallte seine Stimme in meinem Kopf wider, sanft wie Samt. „Ich liebe dich. Ich bin in einem dringenden Notfall des Rudels gefangen. Ich bin so schnell wie möglich zu Hause.“
Die Worte, einst eine Quelle des Trostes, fühlten sich jetzt wie Eis an. Eine Lüge. Ich spürte die Falschheit darin, eine saure Note in der Symphonie unserer Bindung. Ein Notfall?
Mein Wolf, ein gebrochenes und stilles Wesen seit Zayns Tod, regte sich mit einem Aufflackern von Wut.
Ich konnte nicht atmen. Ich wollte es nicht glauben. Nicht mein Gefährte. Nicht der Alpha, der mir von der Mondgöttin selbst zugeschworen worden war.
„Die Adresse“, stieß ich hervor und zeigte mit zitterndem Finger auf das Buch. „Wo ist dieser … Orion registriert?“
Der Älteste, der meine Not spürte, schrieb sie auf einen Zettel. Ich riss ihn an mich und rannte aus dem Archiv, das Ritual vergessen.
Die Adresse führte mich zur privaten Akademie des Rudels, einem Ort, den ich seit vier Jahren nicht mehr besucht hatte. Ich parkte auf der anderen Straßenseite, mein Herz hämmerte gegen meine Rippen wie ein gefangener Vogel.
Und dann sah ich ihn.
Meinen Gefährten. Meinen Alpha. Damian.
Er war nicht in einer Besprechung. Er stand am Schultor, ein sanftes Lächeln auf seinem gutaussehenden Gesicht. Eine Frau mit langen, dunklen Haaren, Lila, ging auf ihn zu. Und an ihrer Hand hielt sie einen kleinen Jungen, dessen Gesicht eine Miniaturversion von Damians war.
„Papa!“, rief der Junge und rannte vorwärts.
Damian hob ihn in seine Arme, sein Lächeln wurde breiter. Dann streckte er die Hand aus, legte sie wie selbstverständlich auf Lilas unteren Rücken und zog sie näher. Sie sahen aus wie eine Familie. Eine perfekte, glückliche Familie.
Meine Seele fühlte sich an, als würde sie in zwei gerissen.
Ich folgte ihnen, mein Auto ein Geist, der ihrem glücklichen kleinen Leben nachschlich. Sie fuhren zu einem wunderschönen Herrenhaus, das ich noch nie zuvor gesehen hatte, ein geheimes Nest, das versteckt lag. Ich beobachtete von der Straße aus, wie sie im Garten spielten, Damian den Jungen auf einer Schaukel anschob, Lila lachend zusah. Es war ein Bild des Lebens, das meines hätte sein sollen. Das Leben, das mir gestohlen worden war.
Benommen fuhr ich zurück zu unserem Zuhause, unserem „Nest“. Ich betrat es durch die Tiefgarage und versteckte mich hinter einer dicken Betonsäule. Mein eigenes Zuhause fühlte sich jetzt wie feindliches Territorium an.
Sein Auto fuhr Momente später herein. Die Luft war sofort dick von ihrem Geruch. Kein Parfüm. Es war der ursprüngliche, moschusartige Geruch einer Wölfin, die ihr Territorium markierte. Meinen Gefährten markierte. Mein Zuhause markierte.
Ich hielt den Atem an und lauschte. Sie waren immer noch im Auto.
„Er hat sich so gefreut, dich heute zu sehen“, Lilas Stimme war süß, klebrig. „Er vermisst seinen Vater.“
„Ich weiß“, Damians Stimme war schwer. „Es ist kompliziert, Lila.“
„Ist es das?“, schnurrte sie. „Vier Jahre, Damian. Vier Jahre seit dieser Nacht. Wir waren einfach … im Moment verloren. Unser Heulen … wie hätten wir wissen können, dass das Kind so nah an den Fluss wandern würde?“
Die Welt blieb stehen.
Mein Blut gefror zu Eis.
Diese Nacht. Die Nacht, in der Zayn starb. Er hatte am Ufer der Oker gespielt. Sie sagten mir, er sei ausgerutscht. Sie sagten mir, es sei ein tragischer Unfall gewesen.
Aber das war es nicht.
Sie waren es. Ihr lautes, hemmungsloses Treiben hatte meinen kleinen Jungen zu Tode erschreckt. Er war gerannt, verängstigt und allein, und in das eiskalte Wasser gefallen.
Als diese neue, schreckliche Wahrheit über mich hereinbrach, überflutete eine andere Empfindung meine Sinne, übertragen durch das Gefährtenband. Es war eine Welle roher, animalischer Lust. Seine Lust.
Ich presste meine Hände auf den Mund, um einen Schrei zu unterdrücken.
Er war bei ihr. Genau jetzt. Im Auto, keine sechs Meter von meinem Versteck entfernt, in der Garage des Hauses, das ich mit ihm teilte. Er nahm sie sich, markierte sie, ihre Körper bewegten sich im Rhythmus des reinen Verrats. Das heilige Band, das nur für mich bestimmt war, zwang mich, jede Sekunde seiner Untreue zu spüren.
Meine Welt zerbrach nicht nur. Sie wurde vernichtet.