Die Lüge zerbrach an einem Dienstag, als ich herausfand, dass mein Verlobter, Jonas, nicht in einer Vorstandssitzung war, sondern in einer riesigen Villa mit Kira Reuter – der Frau, von der man mir erzählt hatte, sie hätte vor fünf Jahren nach dem Versuch, mir etwas anzuhängen, einen Nervenzusammenbruch erlitten.
Sie war nicht in Ungnade gefallen; sie strahlte, hielt einen kleinen Jungen, Leo, der in Jonas' Armen kicherte.
Ich hörte ihr Gespräch mit an: Leo war ihr Sohn, und ich war nur ein „Platzhalter“, ein Mittel zum Zweck, bis Jonas die Verbindungen meiner Familie nicht mehr brauchte. Meine Eltern, die Vossbecks, steckten mit drin, finanzierten Kiras luxuriöses Leben und ihre geheime Familie.
Meine gesamte Realität – die liebenden Eltern, der treue Verlobte, die Sicherheit, die ich gefunden zu haben glaubte – war eine sorgfältig konstruierte Bühne, und ich war die Närrin, die die Hauptrolle spielte. Die beiläufige Lüge, die Jonas mir textete, „Bin gerade aus dem Meeting raus. So anstrengend. Ich vermisse dich. Wir sehen uns zu Hause“, während er neben seiner echten Familie stand, war der letzte Schlag.
Sie hielten mich für erbärmlich. Sie hielten mich für eine Idiotin. Sie würden bald herausfinden, wie sehr sie sich geirrt hatten.
Kapitel 1
Fünf Jahre. So lange hatten sie mir erzählt, dass Kira Reuter verschwunden war. Fünf Jahre, seit sie angeblich einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte, nachdem sie versucht hatte, mir die Weitergabe von Firmengeheimnissen anzuhängen – ein Schachzug, der meine medizinische Karriere fast zerstört hätte. Mein Verlobter, Jonas Richter, und meine Eltern, die Vossbecks, hatten mir versichert, sie sei weggeschickt worden, um Hilfe zu bekommen, in Ungnade gefallen und für immer aus unserem Leben entfernt.
Ich glaubte ihnen. Ich war Alina Voss, eine Assistenzärztin, die endlich wieder mit der wohlhabenden Familie vereint war, von der sie als Kind getrennt worden war. Ich hatte liebende Eltern und einen gut aussehenden, erfolgreichen Verlobten. Ich war in Sicherheit. Ich wurde geliebt. Es war eine perfekte, zerbrechliche Lüge.
Die Lüge zerbrach an einem Dienstag.
Jonas sollte in einer Vorstandssitzung sein. Er hatte mir getextet: „Denke an dich. Das wird eine lange Nacht. Warte nicht auf mich.“
Aber ich wollte ihn überraschen. Ich hatte gerade eine zermürbende 36-Stunden-Schicht im Krankenhaus beendet und fuhr zu seinem Bürogebäude, Richter Medizintechnik, mit seinem Lieblingsessen zum Mitnehmen. Der Wachmann in der Lobby schenkte mir ein höfliches Lächeln. „Herr Richter ist vor etwa einer Stunde gegangen, Dr. Voss.“
Ein eiskalter Knoten bildete sich in meinem Magen. Ich rief ihn an. Es klingelte einmal, dann sprang die Mailbox an. Ich versuchte es mit dem Tracker in seinem Auto, eine Funktion, die ich nur ein einziges Mal benutzt hatte, als er es in einem riesigen Parkhaus verlegt hatte. Der leuchtende Punkt auf meinem Handybildschirm war nirgendwo in der Nähe seiner üblichen Routen. Er bewegte sich auf eine bewachte Wohnanlage am anderen Ende der Stadt zu, ein Ort, von dem ich noch nie gehört hatte.
Ich fuhr, meine Hände fest um das Lenkrad gekrallt. Der kalte Knoten in meinem Magen wuchs und zog sich mit jedem Kilometer enger zusammen. Die Adresse führte mich zu einer weitläufigen, modernen Villa, aus der Lichter strahlten und Musik in die gepflegten Gärten drang. Es sah nach einer Party aus.
Ich parkte die Straße runter und ging auf das Haus zu. Durch die bodentiefen Fenster sah ich eine Szene, die keinen Sinn ergab. Und dann sah ich ihn. Meinen Verlobten, Jonas. Er trug keinen Anzug. Er war in Freizeitkleidung, ein entspanntes Lächeln auf seinem Gesicht.
Er hielt einen kleinen Jungen auf seinen Schultern, vielleicht vier oder fünf Jahre alt. Der Junge kicherte, seine kleinen Hände in Jonas' dunklem Haar verfangen.
Und dann sah ich die Frau, die neben ihnen stand, ihre Hand auf Jonas' Arm.
Kira Reuter.
Sie war nicht in Ungnade gefallen. Sie war nicht in einer Klinik. Sie strahlte, gekleidet in ein Seidenkleid, und sah in jeder Hinsicht wie eine glückliche Mutter und Partnerin aus. Sie lachte, ein Geräusch, an das ich mich mit einem Schaudern erinnerte, und beugte sich vor, um Jonas auf die Wange zu küssen. Er drehte seinen Kopf und küsste sie zurück, eine vertraute, liebevolle Geste, die er bei mir erst an diesem Morgen angewendet hatte.
Mein Atem stockte. Die Welt geriet aus den Fugen. Ich stolperte zurück in den Schatten einer großen Eiche, mein Körper zitterte.
Durch die leicht geöffnete Terrassentür konnte ich ihre Stimmen hören.
„Leo wird so groß“, sagte Kira, ihre Stimme triefte vor Zufriedenheit. „Er sieht dir jeden Tag ähnlicher.“
„Er hat den Charme seiner Mutter“, antwortete Jonas, seine Stimme warm von einer Zuneigung, von der ich jetzt erkannte, dass ich sie nie wirklich erhalten hatte. Er hob den Jungen, Leo, von seinen Schultern und setzte ihn ab.
„Bist du sicher, dass Alina nichts ahnt?“, fragte Kira, ihr Tonfall änderte sich leicht. „Fünf Jahre sind eine lange Zeit, um das aufrechtzuerhalten.“
„Sie hat keine Ahnung“, sagte Jonas, seine Stimme durchzogen von einer beiläufigen Grausamkeit, die mir die Luft raubte. „Sie ist so dankbar, eine Familie zu haben, sie würde alles glauben, was wir ihr erzählen. Es ist fast schon traurig.“
„Arme, erbärmliche Alina“, höhnte Kira. „Glaubt immer noch, du würdest sie heiraten. Glaubt immer noch, Mami und Papi Vossbeck lieben ihre echte Tochter mehr als mich.“
Jonas lachte. Es war kein schönes Lachen. „Sie haben ein schlechtes Gewissen. Das ist alles. Sie wissen, dass sie dir etwas schulden. Wir alle. Dieses Haus, dieses Leben … es ist das Mindeste, was wir tun konnten, um wiedergutzumachen, was du ‚durchgemacht‘ hast.“
Er sagte „durchgemacht“ mit Anführungszeichen in der Luft. Die ganze Geschichte ihres Zusammenbruchs war eine Vorstellung. Eine Lüge, an der sie alle beteiligt waren.
Mir wurde übel. Meine Eltern. Sie steckten auch mit drin. Das Geld für dieses verschwenderische Leben, diese geheime Familie, es kam von ihnen. Vom Vossbeck-Vermögen, das eigentlich mir gehören sollte.
Meine gesamte Realität – die liebenden Eltern, der treue Verlobte, die Sicherheit, die ich nach einer Kindheit in Pflegefamilien endlich gefunden zu haben glaubte – war eine sorgfältig konstruierte Bühne. Und ich war die Närrin, die die Hauptrolle spielte, ohne zu wissen, dass der Rest der Besetzung hinter dem Vorhang über mich lachte.
Ich wich langsam zurück, meine Bewegungen hölzern. Ich stieg in mein Auto, mein Körper zitterte so heftig, dass ich kaum den Schlüssel im Zündschloss drehen konnte. Mein Handy summte auf meinem Schoß. Es war eine SMS von Jonas.
„Bin gerade aus dem Meeting raus. So anstrengend. Ich vermisse dich. Wir sehen uns zu Hause.“
Die beiläufige Lüge, getippt, während er neben seiner echten Familie stand, war der letzte Schlag. Die Welt geriet nicht nur aus den Fugen; sie zerfiel um mich herum zu Staub.
Ich fuhr weg, nicht zu unserer gemeinsamen Wohnung, sondern in eine Zukunft, die sie nicht kontrollieren konnten. Der Schmerz war ein physisches Gewicht, das meine Brust zerdrückte. Aber darunter begann eine winzige, harte Glut der Entschlossenheit zu glühen.
Sie hielten mich für erbärmlich. Sie hielten mich für eine Idiotin.
Sie würden bald herausfinden, wie sehr sie sich geirrt hatten.