Ich folgte ihm in einen Privatclub. Aus den Schatten sah ich zu, wie er sie in seine Arme zog und ihr einen hungrigen, verzweifelten Kuss gab – einen Kuss, den er mir nie gegeben hatte. In diesem Augenblick zerbarst meine gesamte Zukunft.
Endlich verstand ich das Geflüster seiner Männer, dass ich nur ein politischer Preis sei, während Angelia ihre wahre Königin war. Er wollte mein Imperium, aber sein Herz gehörte ihr.
Ich würde kein Trostpreis sein. Ich würde für niemanden die zweite Geige spielen.
Ich ging geradewegs in das Arbeitszimmer meines Vaters, meine Stimme so kalt wie Eis. „Ich sage die Hochzeit ab.“
Als er protestierte, versetzte ich ihm den letzten Schlag. „Ich werde die Notwendigkeit einer Allianz für unsere Familie wahren. Ich werde Don Dante Wagner heiraten.“
Das Whiskeyglas meines Vaters zerschellte auf dem Boden. Dante Wagner war unser größter Rivale.
Kapitel 1
Isabella POV:
Der Vertrag für meine Ehe mit Marco Richter wurde mit Blut unterzeichnet, als wir noch Kinder waren, ein Versprechen der Einheit zwischen zwei der mächtigsten Familien Norddeutschlands. Aber die Lüge, die ich auf seinen Lippen entdeckte, schmeckte nach billigem Parfüm und einer anderen Frau.
Diese Stadt, dieses weitläufige Königreich aus Glas und Stahl, würde eines Tages mir gehören. Ich war Isabella Meyer, Tochter von Don Alistair Meyer. Jede Kopfsteinpflasterstraße und jede schattige Gasse war Teil meines Erbes, ein Geburtsrecht, zu dessen Beherrschung ich erzogen wurde.
Aber in den stillen Momenten, wenn das Gewicht meines Namens schwerer lastete als meine Krone, wollte ich nur ihn.
Marco Richter.
Er war meine Zukunft, meine andere Hälfte, der Mann, der auserwählt war, an meiner Seite zu herrschen. Er war der Erbe der Familie Richter, ein Mann, dessen Stärke und strategischer Verstand von Hamburg bis München in leisen, ehrfürchtigen Tönen erwähnt wurden. Er war alles, was ein zukünftiger Don sein sollte.
Alle sagten, wir seien füreinander bestimmt. Von den alten Capos, die in den Cafés im Portugiesenviertel ihren Espresso schlürften, bis zu den Ehefrauen, die die Wohltätigkeitsorganisationen leiteten, die unser Geld wuschen, war es eine bekannte Tatsache: Isabella Meyer gehörte zu Marco Richter.
Mein Herz wusste immer, wenn er in der Nähe war. Es war ein hektisches, wildes Schlagen gegen meine Rippen, ein vertrauter Rhythmus, den ich seit meiner Kindheit spürte.
Ich stand am bodentiefen Fenster unseres Penthouses und wartete. Ich erwartete den Duft, der ihm immer anhaftete, eine saubere, herbe Mischung aus Sandelholz und Leder. Es war der Duft von Macht, von Sicherheit. Es war das Einzige, was das ruhelose Biest in meiner Seele zähmen konnte.
Die Aufzugtüren glitten mit einem leisen Zischen auf. Er trat heraus, seine breiten Schultern füllten den Türrahmen aus.
Aber die Luft, die ihm folgte, war falsch.
Sie war vergiftet.
Unter dem vertrauten Sandelholzduft hing eine aufdringliche Süße an seiner Kleidung. Ein billiger, synthetischer Blumenduft, der meinen Magen verkrampfen ließ.
Gardenie.
Ich kannte diesen Geruch. Er gehörte zu Angelia Roth.
Sie war das Waisenkind, das die Familie Richter vor Jahren aufgenommen hatte, ein Mädchen mit großen, unschuldigen Augen und einer Zerbrechlichkeit, die Männer dazu brachte, sie beschützen zu wollen. Besonders Marco. Er behandelte sie, als wäre sie aus gesponnenem Glas, eine kostbare Schwester, die er vor der Welt abschirmen musste.
Vor unserer Welt.
Ich wandte mich vom Fenster ab, mein Gesicht eine sorgfältig konstruierte Maske der Ruhe.
„Du warst bei ihr.“
Es war keine Frage.
Marcos Lächeln war so glatt und faltenfrei wie sein maßgeschneiderter Anzug. Er ging auf mich zu, seine Bewegungen fließend und selbstbewusst. „Ich habe sie nur abgesetzt. Sie hatte einen langen Tag.“
Er beugte sich vor, um mich zu küssen, aber ich trat zurück. Der Geruch war jetzt stärker, eine erstickende Wolke aus Lügen.
Das Atmen fühlte sich plötzlich wie eine Last an. Die Luft im Raum, einst erfüllt von der behaglichen Stille unseres gemeinsamen Lebens, war nun dick von Verrat.
„Ich gehe ins Bett“, sagte er mit beiläufiger Stimme. Er knöpfte seine Manschetten auf, sein Blick bereits in die Ferne gerichtet. „Warte nicht auf mich.“
Ich nickte, eine einzige, ruckartige Bewegung. „Gute Nacht, Marco.“
Aber ich ging nicht in mein Zimmer. Ich wartete, bis ich die Dusche hörte, ein stetiges Rauschen von Wasser, das die Beweise seines Betrugs wegwusch. Dann schlich ich aus dem Penthouse.
Ich musste nicht fragen, wohin er ging. Ich spürte das Ziehen seines Verrats in meinem Bauch. Ich folgte dem Geruch, einer Spur aus Gift, die mich hinab in das dunkle Herz der Stadt führte.
Er ging in einen Privatclub, der seiner Familie gehörte, ein Ort der Schatten und Geheimnisse. Ich blieb in der Dunkelheit des Flurs, mein Herz hämmerte einen rasenden Rhythmus gegen meine Rippen. Er traf sie in einer abgeschiedenen Nische, verborgen vor Blicken.
Aber nicht vor meinen.
Ich sah zu, wie er sie in seine Arme zog. Ich sah, wie er seinen Kopf senkte, seine Lippen ihre im Dämmerlicht fanden. Es war kein sanfter Kuss. Er war hungrig, verzweifelt. Ein Kuss, den er mir nie gegeben hatte.
Die Welt geriet aus den Fugen. Die Zukunft, die seit meiner Geburt für mich vorgezeichnet war – das Leben mit Marco, die Kinder, die wir haben würden, das Imperium, das wir regieren würden – brach in der Mitte entzwei und zersplitterte in eine Million unkenntliche Stücke.
Mein Schicksal war eine Lüge.
Ich gab keinen Laut von mir. Ich wich nur zurück und verschmolz mit den Schatten, die schon immer mein Zuhause gewesen waren.
Der Weg zurück zum Penthouse fühlte sich an, als würde ich durch Eiswasser waten. Jedes vertraute Wahrzeichen – der Brunnen auf dem Platz, die Löwenstatuen, die unser Gebäude bewachten – schien fremd und feindselig.
Ich ging geradewegs in das Arbeitszimmer meines Vaters. Die Türen waren imposant, aus dunkler Eiche geschnitzt. Ich stieß sie auf, ohne anzuklopfen.
Er saß hinter seinem Schreibtisch, ein Glas Whiskey in der Hand. Er lächelte, als er mich sah. „Isabella. Was für eine angenehme Überraschung.“ Sein Lächeln verblasste, als er mein Gesicht sah. „Was ist los? Was ist passiert?“
Ich ging zu seinem Schreibtisch, meine Schritte fest, meine Stimme ohne jede Emotion. Es fühlte sich an, als würde jemand anderes sprechen, eine kältere, härtere Version von mir selbst, die ich bis heute Nacht nicht gekannt hatte.
„Vater.“
„Mhm, meine Liebe?“
„Ich sage die Hochzeit ab.“
Er starrte mich an, seine Stirn gerunzelt. „Isabella, die Einladungen sind verschickt. Die Familien erwarten diese Verbindung. Es ist eine Frage der Ehre.“
„Ehre?“, stieß ich ein kleines, bitteres Lachen aus. „Seine Ehre ist mit dem Duft einer anderen Frau befleckt.“ Ich sah ihm direkt in die Augen, meine Entscheidung ein Eisblock in meiner Brust. „Ich habe andere Vorkehrungen getroffen.“
„Welche anderen Vorkehrungen?“, fragte er, seine Stimme von Verwirrung und einem Hauch von Furcht durchzogen.
„Ich werde die Notwendigkeit einer Allianz für die Familie wahren“, sagte ich, meine Stimme klar und fest. „Ich werde Don Dante Wagner heiraten.“
Das Glas meines Vaters glitt ihm aus den Fingern und zerschellte auf dem Marmorboden. „Wagner? Bella, das kann nicht dein Ernst sein. Er ist unser Rivale. Marco … Marco ist dein Leben.“
„Nein, Vater“, sagte ich, die Worte schmeckten wie Asche in meinem Mund. „Marco war mein Fehler.“
Es war keine plötzliche Entscheidung. Der Kuss war nur die endgültige Bestätigung einer Wahrheit, die mir seit Monaten ins Ohr geflüstert wurde.
Ich erinnerte mich an vor ein paar Wochen, als ich mich im Arbeitszimmer versteckt hatte, um Marco zu überraschen, und ein Gespräch über die sichere Kommunikationsverbindung unseres inneren Kreises mitbekam. Es war ein privater Kanal, ein Ort für ungefilterte Gedanken.
Jens, einer von Marcos vertrautesten Soldaten, hatte gesprochen. „Sie ist eine Prinzessin, Marco. Eine wunderschöne, anspruchsvolle Meyer-Prinzessin. Sie wurde mit einer Krone geboren. Sie versteht unseren Kampf nicht.“
Mir war der Atem gestockt. Eine kalte Furcht kroch meinen Rücken hinauf.
Dann Lukas, Marcos *Consigliere*, seine Stimme glatt und berechnend. „Angelia aber … Angelia ist anders. Sie ist eine von uns. Sie hat Feuer. Ein Mann weiß, woran er bei einer solchen Frau ist.“
Jan, ein anderer Soldat, hatte gelacht. „Er hat recht. Außerdem hat Angie mir erzählt, dass Marco die einzige wirkliche Familie ist, die sie hat. Sie würde alles für ihn tun.“
Die Worte hatten sich wie ein Schlag in die Magengrube angefühlt. Sie sahen mich als politischen Preis, als zerbrechliche Puppe, die man handhaben musste. Sie sahen Angelia als ihre Königin.
Da verstand ich. Marco und Angelia waren vor Jahren aus demselben Waisenhaus in die Familie Richter gekommen. Sie waren die einzigen beiden Überlebenden eines Feuers, das alle anderen das Leben gekostet hatte. Er fühlte eine tiefe, unzerbrechliche Pflicht ihr gegenüber.
Und jedes Mal, wenn Angelia geweint hatte, jedes Mal, wenn sie behauptet hatte, ein anderes Mädchen hätte sie schikaniert, hatte Marco sich auf ihre Seite gestellt. Er sah mich an, seine Augen flehten um Verständnis. „Sie hat so viel durchgemacht, Bella. Sie ist zerbrechlich.“
Jetzt, als ich sie zusammen sah, fügten sich das Geflüster und die Bevorzugung zusammen. Der Kuss war kein Moment der Schwäche. Es war eine Erklärung.
Er wollte Macht. Er wollte den Namen Meyer und das Imperium, das damit einherging. Aber sein Herz, seine Loyalität, seine Seele … das gehörte Angelia.
Und ich würde für niemanden die zweite Geige spielen.