Er raste zu ihr, nur weil sie anrief und behauptete, Angst vor dem Donner zu haben. Das hatte er schon früher getan – meine Galerieeröffnung für ihren Albtraum verlassen, die Beerdigung meiner Großmutter für ihr praktischerweise liegengebliebenes Auto. Mein ganzes Leben war eine Fußnote in ihrer Geschichte, eine Rolle, die Sophia, wie sie später zugab, für mich handverlesen hatte.
Nach vier Jahren als Trostpreis war mein Herz zu einem Eisblock erstarrt. Es gab keine Wärme mehr zu geben, keine Hoffnung mehr zu zerstören. Ich war endlich fertig damit.
Als Sophia mich also für einen letzten Akt der Demütigung in meine eigene Kunstgalerie bestellte, war ich bereit. Ich sah ruhig zu, wie mein Mann, verzweifelt darauf aus, ihr zu gefallen, das Dokument unterzeichnete, das sie ihm vorlegte, ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen. Er dachte, er würde eine Investition unterzeichnen. Er hatte keine Ahnung, dass es die Scheidungsvereinbarung war, die ich eine Stunde zuvor in die Mappe geschmuggelt hatte.
Kapitel 1
Alinas Sicht:
In der Nacht unseres Hochzeitstages ließ mein Mann mich blutend am Rande einer Autobahn für sie zurück. Es war das neunte Mal, dass er sie gewählt hatte. Es sollte das letzte Mal sein.
Der Regen war eine undurchdringliche Wand vor der Windschutzscheibe, die Scheibenwischer kämpften einen aussichtslosen Kampf. Ein scharfer Krampf zog sich in meinem Bauch zusammen und ließ mich eine Hand auf meinen Magen pressen.
Neben mir umklammerte Marco das Lenkrad, seine Knöchel traten weiß hervor. Er hatte kein Wort gesagt, seit wir das Restaurant verlassen hatten, aber die Spannung, die von ihm ausging, war etwas Greifbares, das den kleinen Raum des Autos füllte, bis ich kaum noch atmen konnte.
Dann erhellte sein Handy das dunkle Auto, der Bildschirm warf ein fahles, kränkliches Licht auf sein Gesicht.
Sophia.
Sein ganzer Körper erstarrte. Der Muskel in seinem Kiefer zuckte. Er riss das Telefon von der Konsole, sein Daumen wischte zum Annehmen, bevor der erste Klingelton verklungen war.
„Fia?“, seine Stimme war leise, eindringlich. All die Kälte, die er mir in der letzten Stunde gezeigt hatte, war verschwunden, ersetzt durch eine dicke, sirupartige Besorgnis, die meinen Magen erneut verkrampfen ließ, diesmal stärker.
Ihre Stimme drang durch den Lautsprecher, ein hohes, panisches Wimmern. „Ric, ich habe Angst. Der Donner … er ist so laut. Ich kann nicht schlafen.“
„Schon gut, Baby. Ich bin auf dem Weg.“ Er zögerte nicht einmal. Die Worte kamen automatisch, ein Versprechen, das er schon tausendmal gegeben und gehalten hatte.
Ein Versprechen, das er mir nie gemacht hatte.
Er trat auf die Bremse, das Auto geriet mit einem furchterregenden Quietschen auf dem nassen Asphalt ins Schleudern. Wir kamen abrupt am Seitenstreifen der leeren Autobahn zum Stehen, die roten Rücklichter eines vorbeifahrenden Lastwagens verschwammen durch die regennassen Fenster.
„Nimm dir ein Taxi, Alina“, sagte er, ohne mich anzusehen. Seine Augen suchten bereits die dunkle Straße ab und berechneten die schnellste Route zu ihr.
„Marco, mein Magen …“, begann ich, der Schmerz machte meine Stimme dünn. „Mir ist nicht gut.“
Endlich drehte er sich zu mir um, sein Ausdruck ungeduldig, genervt. Er zog ein Bündel Geldscheine aus seiner Tasche und drückte es mir in die Hand. „Hier. Das ist mehr als genug. Du kommst schon klar.“
Er wartete nicht auf eine Antwort. Er ließ den Motor aufheulen und machte eine scharfe Kehrtwende, die mich gegen die Beifahrertür schleuderte.
Und dann war er weg, seine Scheinwerfer verschwanden im Sturm, auf dem Weg zu ihr.
Ich war allein in der tosenden Dunkelheit, die zerknüllten Scheine in meiner Hand fühlten sich an wie Müll. Der Schmerz in meinem Bauch war nichts im Vergleich zu dem kalten, hohlen Schmerz in meiner Brust.
Das war das neunte Mal. Der neunte Abschied.
Es war ein krankes Spiel, das Sophia erfunden hatte, als sie unsere arrangierte Ehe inszeniert hatte. Sie sagte Marco, sie müsse wissen, dass seine Loyalität immer noch ihr gehörte. Also dachte sie sich neun Tests aus. Neun Momente, in denen er sich zwischen seiner Frau und ihr entscheiden musste. Erst nachdem er seine unerschütterliche Hingabe neunmal bewiesen hatte, würde sie ihn „freigeben“, um ein echter Ehemann für mich zu sein.
Ich war eine Närrin. Eine naive, hoffnungsvolle Idiotin, die ihm tatsächlich glaubte, als er sagte, er müsse das nur durchstehen. Dass unser Leben beginnen würde, sobald es vorbei war.
Unser Leben würde niemals beginnen.
Das war es. Das Ende.
Ich stolperte aus dem Auto, der Regen durchnässte sofort mein Haar und den dünnen Stoff meines Kleides. An das kalte Metall gelehnt, erbrach ich mich auf den Schotter, die Krämpfe hatten endlich gesiegt. Jedes Würgen war ein herzzerreißendes Schluchzen um die vier Jahre, die ich damit verschwendet hatte, auf einen Mann zu warten, der niemals meiner sein würde.
Es war eine Lüge. Alles davon. Unsere Ehe, unser Zuhause, das Leben, von dem ich dachte, wir würden es aufbauen. Es war eine Warteschleife, ein bequemer Ort für ihn, um zu warten, bis Sophia entschied, dass sie ihn zurückhaben wollte.
Und mir wurde mit einer Klarheit bewusst, die den Schmerz durchdrang, dass Sophia alles arrangiert hatte. Mein ganzes Leben war eine Fußnote in ihrer Geschichte mit Marco. Unsere Ehe war nur ein Platzhalter.
Ich dachte an all die anderen Abschiede. Die Nacht meiner ersten großen Galerieeröffnung, als Sophia anrief und sagte, sie hätte einen Albtraum gehabt. Er ging. Die Beerdigung meiner Großmutter, als Sophias Auto praktischerweise eine Stunde entfernt eine Panne hatte. Er ging. Das Mal, als ich so hohes Fieber hatte, dass ich im Delirium war. Er ging, weil Sophia Hilfe beim Aussuchen eines Geburtstagsgeschenks für ihre Mutter brauchte.
Mein Herz fühlte sich an wie ein Eisblock in meiner Brust. Es gab keine Wärme mehr zu geben. Keine Hoffnung mehr zu zerstören. Es war einfach … leer.
Ich hatte gewusst, dass dieser Tag kommen würde. Ich hatte mich darauf vorbereitet.
In meiner Kunstgalerie, versteckt zwischen den Investitionsportfolios für einen neuen Flügel, befand sich eine einzelne Manila-Mappe. Sie enthielt einen Vorschlag, den Sophia Marco unterzeichnen lassen wollte, eine Möglichkeit, ihre Finanzen durch eine „legitime Fassade“ des Kunsterwerbs zu verknüpfen. Sie war so arrogant, so sicher in ihrer Kontrolle über ihn, dass sie nicht einmal die anderen Dokumente in der Mappe gelesen hatte.
Aber ich hatte es getan. Und ich hatte eines von mir hinzugefügt.
Eine Scheidungsvereinbarung.
Eine Stunde später sah ich ihre SMS auf meinem Handy aufleuchten, eine Vorladung. *Triff uns in der Galerie. Marco hat eine Überraschung für dich.*
Ich wusste, was es war. Sie würde ihn die Investitionspapiere vor meinen Augen unterzeichnen lassen. Der letzte Akt der Demütigung.
Gut. Soll sie doch ihre Show abziehen.
Als ich eintrat, hing Sophia wie eine tragische Königin in einem Stuhl. Marco stand neben ihr, sein Ausdruck eine Mischung aus Schuld und Ärger.
„Alina“, sagte Sophia, ihre Stimme triefte vor falschem Mitgefühl. „Es tut mir so leid. Ich habe ihm gesagt, er hätte bei dir bleiben sollen, aber er bestand darauf, zu mir zu kommen.“
Marco schob die Mappe über den Tisch zu mir. „Sophia meint, eine Investition in deine Galerie wäre eine gute Möglichkeit, es bei dir wiedergutzumachen.“ Er mied meinen Blick. Er zeigte nur auf die letzte Seite. „Unterschreib hier.“
Er sah nicht einmal hin, was er unterschrieb. Er kritzelte einfach seinen Namen auf die Zeile, die ich mit einem kleinen, sauberen ‚X‘ markiert hatte.
Sophia lächelte, ein triumphierender, giftiger Zug um ihre Lippen. Sie nahm das unterzeichnete Dokument auf und wedelte leicht damit. „So. Alles erledigt. Du bist frei, Marco.“
Aber ihre Augen waren auf mich gerichtet. Der Sieg darin war scharf und grausam.
Mein eigenes Herz war ein stilles, totes Ding in meiner Brust. Ich fühlte nichts. Absolut nichts.
„Herzlichen Glückwunsch, Sophia“, sagte ich mit gleichmäßiger Stimme. „Du hast gewonnen.“
Marco sah verwirrt aus. „Was gewonnen? Alina, wovon redest du?“
Ich antwortete ihm nicht. Ich nahm die notariell beglaubigte Scheidungsvereinbarung aus dem Stapel, faltete sie ordentlich und steckte sie in meine Handtasche. Dann drehte ich mich um und ging aus der Tür, ließ sie beide in der makellos weißen Galerie zurück, die vier Jahre meiner Seele beherbergte.