Sein Grund dafür zerstörte meine Welt: „Elena hat mir einen Sohn geschenkt. Einen gesunden, starken Sohn.“ Er hatte eine geheime Familie. Die letzten drei Jahre seiner liebevollen Pflege waren eine einzige Lüge. Er wartete nur darauf, dass ich sterbe.
Er brachte mir sogar die Reste ihrer Suppe, nannte mich „die kranke Wölfin“ und entweihte das heilige Zuhause meiner Eltern mit seiner Mätresse und ihrem Kind. Er plante, dem Rudel zu erzählen, mein Heilmittel sei gestohlen worden, um meinen Tod als Tragödie für seinen eigenen Vorteil zu nutzen.
Er dachte, ich sei eine schwache, sterbende Wölfin. Er hatte keine Ahnung, welchen Sturm er gerade entfesselt hatte.
In dieser Nacht sammelte ich meine letzten Kräfte und durchtrennte unser Seelenband. Der Schmerz war unerträglich, aber ich verließ dieses Haus der Lügen und ließ nur meinen Ehering zurück. Ich würde nicht sterben. Ich würde leben, um seine Welt in Flammen aufgehen zu sehen.
Kapitel 1
KATHARINAS SICHT:
Seit drei Jahren war die Wolfskraut-Essenz ein langsames, kaltes Gift in meinen Adern. Sie hielt meine innere Wölfin unterdrückt, ein wimmernder Geist in meinem Hinterkopf, und fesselte meinen Körper an dieses Bett. Aber heute gab es Hoffnung. Eine einzelne, perfekte Mondblüte, das einzig bekannte Gegengift, war endlich reif. Der Heiler des Rudels sagte, das Elixier würde bis zum Einbruch der Nacht fertig sein.
Hoffnung war ein zerbrechliches, ungewohntes Gefühl.
Ich lag still da, mein Atem flach, und konzentrierte mich auf die eine Verbindung, die das Gift nicht durchtrennen konnte: das Seelenband. Es war ein schwacher, ausgefranster Faden, der mich mit meinem Ehemann, Alpha Jonas Herder, verband. Normalerweise war es eine Quelle des Trostes. Heute war es der Kanal, der mein Verderben übertrug.
Die Gedankenverbindung ist eine Verbindung, die alle Rudelmitglieder teilen, eine Art, lautlos zu kommunizieren. Aber die Verbindung zwischen Gefährten soll ein heiliger, privater Kanal sein. Meine Verbindung zu Jonas war schwach geworden, aber manchmal, wenn seine Emotionen stark waren, konnte ich Echos seiner Gedanken auffangen.
Gerade jetzt waren seine Gedanken ein ohrenbetäubendes Brüllen, das nicht für mich bestimmt war. Er verband sich gedanklich mit Dr. Brenner, dem leitenden Arzt des Rudels.
„Gib das Mondblüten-Elixier an Elena Kramers Mutter“, befahl Jonas' mentale Stimme, scharf und absolut.
Die Worte ergaben keinen Sinn. Mein Verstand fühlte sich neblig an, langsam. Das musste ein Fehler sein.
Dr. Brenners Antwort war zögerlich, von Verwirrung durchzogen. „Aber Alpha … das Elixier war für Luna Katharina. Es ist ihre einzige Chance.“
Eine kalte Furcht überkam mich, schwerer als das Gift selbst. Mein Herz, das normalerweise so schwach schlug, begann gegen meine Rippen zu hämmern.
Jonas' Antwort war eisig, aber ich spürte ein Flackern darunter – ein kurzes, scharfes Bild meines eigenen blassen Gesichts, das schnell beiseitegeschoben wurde. „Elena hat mir einen Sohn geschenkt. Einen gesunden, starken Sohn. Ihre Mutter wird das Elixier bekommen. Das ist mein letzter Befehl.“
Ein Sohn.
Die beiden Worte hallten in der Leere meiner Brust wider. Ein Sohn. Er hatte einen Sohn mit einer anderen Frau. Die Erkenntnis kam nicht mit einer Flut von Tränen, sondern mit einer erschreckenden, seelenzerstörenden Stille.
Meine innere Wölfin, die ich seit Jahren nicht mehr wirklich gespürt hatte, stieß in meinem Kopf ein langes, klagendes Heulen aus, ein Geräusch reiner Agonie.
Drei Jahre lang hatte Jonas die Rolle des hingebungsvollen Ehemanns gespielt. Er brachte mir Mahlzeiten, las mir vor, hielt meine Hand, wenn ich vor Fieber zitterte. Er erzählte dem Rudel, er tue alles, um seine Schicksalsgefährtin zu retten. Es war alles eine Lüge. Eine wunderschöne, grausame Lüge.
Als wollte er es bestätigen, streifte eine weitere Gedankenverbindung meine. Diese war sanfter, erfüllt vom Lachen einer Frau und dem glücklichen Glucksen eines Kindes. Es war Jonas, der mit seiner Mätresse Elena sprach.
„Theo fragt nach seinem Papa“, schnurrte Elenas Stimme. „Wann kommst du nach Hause?“
„Bald, meine Liebe“, Jonas' Stimme war warm, ein Ton, den ich seit Jahren nicht mehr an mich gerichtet gehört hatte. „Ich muss nur noch … die Dinge hier überprüfen. Ich bin heute Abend da.“
Die Verbindung riss ab. Die Stille im Raum war ohrenbetäubend.
Ein paar Minuten später knarrte die Tür. Jonas trat ein, sein Gesicht eine perfekte Maske liebevoller Sorge. Er war gutaussehend, mit dunklem Haar und Augen in der Farbe eines stürmischen Himmels. Er war mein Alpha, mein Gefährte. Und er war ein Fremder.
„Wie fühlst du dich, meine Liebe?“, fragte er, seine Stimme sanft wie Honig.
Er wollte sich auf das Bett setzen, aber ich zuckte zurück. Sein Geruch traf mich zuerst. Es war nicht der Geruch von Rudelgeschäften, von Dokumenten und Kriegerschweiß. Es war der süßliche, aufdringliche Geruch einer anderen Wölfin. Der Geruch von Elena.
„Du warst bei ihr“, flüsterte ich, die Worte kratzten in meiner rauen Kehle.
Er erstarrte. „Wovon redest du? Ich war in einer Besprechung mit dem Gamma.“
„Lüg mich nicht an, Jonas“, sagte ich, meine Stimme gewann einen Hauch von Stärke. „Ich kann sie an dir riechen.“
Ein Anflug von Panik huschte über seine Augen, bevor er ihn verbarg. Er dachte, meine Sinne wären so abgestumpft wie mein Körper. Er hatte sich geirrt.
Er antwortete nicht. Er stand einfach da, seine Lügen hingen in der Luft zwischen uns. Ich schloss die Augen und konzentrierte mich auf eine andere Verbindung. Meine Eltern, der frühere Alpha und die frühere Luna, hatten ein mächtiges Zuhause erbaut, das Anwesen der Alphas. Als ihre einzige Tochter war mein Blut mit seinen Grundfesten verbunden. Es fühlte sich an, als würde ich meinen Geist in Eiswasser tauchen, eine auszehrende, schmerzhafte Anstrengung, aber ich drängte meine Sinne darauf, nach ihm zu suchen.
Und ich fand ihn.
Nicht in der Gegenwart, sondern in der Vergangenheit. Die Magie des Anwesens bewahrte Echos, Erinnerungen. Ich sah eine Vision von Jonas im großen Wohnzimmer, dem, in dem mein Vater früher Rat gehalten hatte. Er wiegte einen kleinen Jungen mit dunklem Haar auf seinem Knie. Theo. Elena saß strahlend neben ihm, und um ihren Hals lag eine Silberkette mit einem wunderschönen Mondstein. Meinem Mondstein. Dem, von dem Jonas mir erzählt hatte, er würde speziell für meinen bevorstehenden Geburtstag angefertigt.
Die Vision verschob sich, und mein Atem stockte. Sie waren im Schlafzimmer meiner Eltern. Auf ihrem Bett. Die Heiligkeit des Ortes wurde entweiht, ihre Liebe ein Schandfleck auf der Erinnerung an meine Familie.
Der Schmerz war immens, ein physisches Gewicht, das mich zu erdrücken drohte. Aber unter dem Schmerz regte sich etwas anderes. Eine kalte, harte Wut.
Er hatte nicht nur mich betrogen. Er hatte das Erbe meiner Eltern entehrt.
Meine Finger zitterten, als ich nach dem kleinen, geschnitzten Zeichen auf meinem Nachttisch griff. Eine Kommunikationsrune. Ich drückte meinen Daumen darauf und kanalisierte meine letzte Energie.
„Tante Helen“, sandte ich die verzweifelte Nachricht durch die alte Magie und erreichte meine Tante im benachbarten Schwarzfels-Rudel. „Er gibt mein Heilmittel weg. Er hat ein Kind mit einer anderen Frau. Ich sterbe.“
Eine Pause, dann hallte ihre von Wut und Trauer durchzogene Stimme in meinem Kopf wider. „Halt durch, Katharina. Ich komme dich holen.“
Die Verbindung erlosch. Ich ließ die Rune aus meinen Fingern fallen, meine Entscheidung war gefallen. Ich würde nicht hier sterben, in diesem Bett aus Lügen. Ich würde zum Schwarzfels-Rudel gehen. Und ich würde einen Weg finden, zu überleben. Wenn nicht für mich selbst, dann für die Chance, Jonas' Welt in Flammen aufgehen zu sehen.