Sie planten sogar, mich an meinem Geburtstag unter Drogen zu setzen, damit ich ihre Feier verschlafen würde.
Für sie war ich keine Tochter oder Gefährtin. Ich war nur eine Platzhalterin mit dem richtigen Blut, ein Werkzeug, das man für einen wahren Erben benutzt und dann wegwirft.
Also trank ich am Morgen meines achtzehnten Geburtstags den vergifteten Tee, den meine Mutter mir gab, täuschte meinen Zusammenbruch vor und verschwand für immer.
Aber nicht, ohne vorher eine besondere Lieferung zur Party ihres Sohnes zu arrangieren – eine Kiste, die jedes einzelne ihrer Geheimnisse enthielt.
Kapitel 1
ELARA POV:
„Er benutzt dich, Elara.“
Brennas Stimme war leise, ein beschützendes Knurren vibrierte in ihrer Brust. Sie strich sich eine verirrte Strähne ihres feuerroten Haares aus dem Gesicht, ihre grauen Augen funkelten mit der Schärfe einer Kriegerin.
Wir saßen im „Die Bohne“, einem kleinen Café an der Grenze zwischen unseren beiden Territorien. Es war neutraler Boden, einer der wenigen Orte, an denen Werwölfe willkommen waren, ohne dass wir uns wie Tiere im Käfig fühlten. Die Luft roch nach gerösteten Kaffeebohnen und regennasser Erde, eine beruhigende Mischung.
„Tut er nicht“, sagte ich, meine Stimme schwächer, als ich wollte. Ich umklammerte meine warme Tasse. „Du kennst ihn nicht so wie ich.“
„Ich weiß, was ich sehe“, beharrte sie. „Vor fünf Jahren beschuldigt Seraphina dich, Rudelgeheimnisse verraten zu haben. Eine Anschuldigung, die dich ins Exil hätte bringen können, oder Schlimmeres. Und was passiert mit ihr? Ein Klaps auf die Finger und ein voll finanzierter ‚Erholungsurlaub‘ in irgendeinem Luxusanwesen.“
Ich zuckte zusammen. Die Erinnerung war ein dumpfer Schmerz, ein blauer Fleck auf meiner Seele, der nie ganz verblasste. „Meine Eltern … Alpha Kaelen … sie sagten, es sei das Beste. Um das Rudel vor einem Skandal zu schützen.“
Meine Eltern. Der ehemalige Alpha und die ehemalige Luna des Silbermond-Rudels. Vor Jahren hatten sie mich gefunden, eine Waise, die in der Menschenwelt aufgewachsen war, unwissend über meine eigene Herkunft. Sie erzählten mir, ich sei ihre lange verschollene Tochter, die Erbin der heiligen Weißen Wolfslinie. Und Kaelen … er war mein Gefährte. Der Alpha unseres Rudels. Die andere Hälfte meiner Seele, von der Mondgöttin selbst für mich bestimmt. Die Verbindung zwischen uns sollte ein heiliges Geschenk sein, das eines Tages eine silberne Zeichnung über meinem Herzen und ein Mal auf meiner Hand hinterlassen würde.
Ich sollte der glücklichste Wolf der Welt sein.
„Nächste Woche ist mein achtzehnter Geburtstag, Brenna“, wechselte ich das Thema, ein hoffnungsvolles Flattern in meiner Brust. „Der Tag meiner ersten Wandlung.“
Ein ehrliches Lächeln huschte über ihre Lippen. „Ich weiß. Ich kann es kaum erwarten, deine Wölfin zu sehen. Sie wird prächtig sein.“
„Ich hoffe es.“ Ich beugte mich näher zu ihr und senkte meine Stimme zu einem Flüstern. Ich wollte nicht, dass neugierige Ohren uns belauschten. Stattdessen griff ich über die besondere Verbindung, die alle Rudelmitglieder teilen. Den Gedanken-Link. Es war eine stille, private Gedankenlinie, ein Geschenk der Göttin.
*Ich habe Kaelen gesagt, dass ich in den Mondlicht-Park möchte*, sandte ich ihr, die Worte formten sich in ihrem Kopf, als wären es ihre eigenen Gedanken. *Ich habe irgendwie angedeutet, dass es die perfekte Überraschung wäre.*
Brennas mentale Stimme war von Skepsis durchzogen. *Und was hat der große Alpha gesagt?*
Bevor ich antworten konnte, durchflutete eine andere Stimme meinen Geist. Sie war tief, kraftvoll und von einer Autorität umgeben, die meine Knochen summen ließ. Kaelen.
*Elara.*
Mein Herz machte einen Sprung. Er dachte an mich.
*Kaelen! Ich habe gerade von dir gesprochen.* Eine Wärme durchströmte mich, die einfache Wirkung seiner Anwesenheit in meinem Geist.
Seine Antwort war kurz und ungeduldig. *Ich habe ein wichtiges Rudeltreffen. Bleib zu Hause. Mach keinen Ärger.*
Die Worte waren einfach, aber unter ihnen lag das erdrückende Gewicht des Alpha-Befehls. Es war keine Bitte. Es war ein mit Magie verwobener Befehl, der Gehorsam erzwang. Meine Schultern sackten sofort in sich zusammen, der Drang, ihm zu gefallen, eine gute Gefährtin zu sein, überschwemmte mich.
*Oh. Okay*, sandte ich zurück und versuchte, meine Enttäuschung zu verbergen.
Brenna muss die Veränderung meiner Stimmung gespürt haben. Sie griff über den Tisch und drückte meine Hand. „Lass ihn das nicht mit dir machen. Geh zu ihm. Bring ihm seinen Lieblingskaffee. Überrasche ihn im Turm der Schwarzholz AG und sag ihm von Angesicht zu Angesicht, was du willst.“
Ihr Mut war ansteckend. Sie hatte recht. Ich war seine Gefährtin, seine zukünftige Luna. Meine Wünsche zählten.
Eine Stunde später ging ich durch die glänzende Lobby des Wolkenkratzers der Schwarzholz AG, ein Papptablett mit zwei Kaffees in der Hand. Das Gebäude war das menschliche Gesicht unseres Rudels, ein milliardenschweres Unternehmen, das unsere wahre Natur vor aller Augen verbarg.
Kaelens menschliche Sekretärin, eine unscheinbare Frau namens Klara, schenkte mir ein höfliches, aber bestimmtes Lächeln. „Es tut mir leid, Frau Donovan. Alpha Schwarzholz ist nicht im Haus. Er hatte einen Termin in einer privaten Kunstgalerie im Westend. Ein Ort namens ‚Rhes‘.“
Ein Knoten der Unruhe zog sich in meinem Magen zusammen. Eine private Galerie? Das klang nicht nach einem Rudeltreffen.
Ich fuhr zu der Adresse, die sie mir gegeben hatte, meine Hände waren schweißnass am Lenkrad. Die Galerie war ein schickes, modernes Gebäude mit riesigen Glasfenstern. Ich parkte auf der anderen Straßenseite, mein Herz hämmerte einen rasenden Rhythmus gegen meine Rippen.
Und dann sah ich sie.
Durch das Fenster, klar und deutlich, stand mein Gefährte. Mein Alpha. Kaelen. Er war nicht allein. Neben ihm stand Seraphina, ihr dunkles Haar glänzte unter den Galerielichtern. Zwischen ihnen, an beiden Händen gehalten, war ein kleiner Junge mit Kaelens dunklem Haar und Seraphinas blauen Augen. Er konnte nicht älter als fünf Jahre sein.
Sie sahen aus wie eine Familie.
Mein Atem stockte. Mein ganzer Körper wurde eiskalt. Das musste ein Missverständnis sein. Das musste es einfach.
Dann beugte Kaelen sich hinunter. Er nahm Seraphinas Gesicht in seine Hände, sein Ausdruck voller einer Zärtlichkeit, die ich seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Er küsste sie. Kein einfacher Kuss. Es war ein tiefer, langer Kuss, genauso wie er mich an diesem Morgen geküsst hatte, bevor er unser Bett verließ.
Ein Schmerz, so scharf, so absolut, zerriss meine Seele. Es fühlte sich an, als würde mein innerstes Wesen in zwei gerissen. Die Gefährtenbindung, die heilige Verbindung zwischen uns, schrie vor Qual.
Ich stolperte aus dem Auto, getrieben von einem morbiden Bedürfnis, es zu wissen. Ich schlich näher an das Fenster, versteckte mich im Schatten des Eingangs. Ihre Stimmen drangen durch das dicke Glas.
„… den ganzen Park nur für Leos Geburtstag?“, sagte Seraphina, ihre Stimme triefte vor Zufriedenheit. „Du bist der Beste, Kaelen.“
Leos Geburtstag. Der Freizeitpark.
„Alles für meinen Sohn“, antwortete Kaelen und wuschelte dem Jungen durchs Haar. „Er hat es verdient.“
Mein Blut gefror zu Eis. Leos Geburtstag war am selben Tag wie meiner.
Seraphina lachte, ein grausames, klingelndes Geräusch. „Was ist mit deinem kleinen Findelkind? Wird sie nicht enttäuscht sein?“
Kaelens Lachen war das grausamste Geräusch, das ich je gehört hatte. „Elara? Sie ist so dankbar, eine Familie zu haben, sie wird alles glauben, was wir ihr erzählen.“
Genau in diesem Moment glitt seine Stimme in meinen Geist, eine beiläufige, intime Störung. Ein Gedanken-Link von Kaelen.
*Treffen gerade beendet. So müde. Denke an dich, meine Gefährtin.*
Die Lüge, so offensichtlich und mit solch beiläufiger Grausamkeit vorgetragen, brach mein Herz nicht. Sie zertrümmerte es in eine Million Stücke, und an seiner Stelle begann sich etwas Kaltes und Hartes zu formen.
Das Spiel war aus. Und ich war fertig damit, eine Schachfigur zu sein.